10 Fragen nach 9 Jahren

Interview. Ornis blickt mit Suzanne Oberer auf ihre neunjährige Amtszeit als Präsidäntin von BirdLife Schweiz zurück. Sie erzählt von ihren persönlichen Highlights, den Herausforderungen im Naturschutz und welcher Vogel ihr besonders am Herzen liegt.


Liebe Suzanne, nach neun Jahren als Präsidentin von BirdLife Schweiz hast du beschlossen, kürzerzutreten. Was wird dir aus dieser Zeit am meisten in Erinnerung bleiben?

Stark beeindruckt hat mich immer wieder aufs Neue die Stärke und das grosse Engagement in den Sektionen, Kantonalverbänden und Landesorganisationen. Ich durfte an vielen Einweihungen von Projekten und an Versammlungen teilnehmen und habe dabei das innere Feuer der Engagierten erlebt. Durch unsere Verbandsstruktur verfügen wir über ein grosses Netz von rund 450 eigenständig agierenden Körperschaften. Die dadurch entstehende Eigenverantwortung setzt viele Kräfte frei. Hier schliesse ich die Arbeit in unseren kantonalen wie auch nationalen Geschäftsstellen und den Naturzentren mit ein. Dieser enthusiastische Einsatz macht die BirdLife-Familie aus.

Was waren für dich die Highlights, und woran erinnerst du dich etwas weniger gern?

Grosse Freude löste nicht nur bei mir die unbestrittene Zustimmung für den Bau des Naturzentrums Klingnauer Stausee an der Delegiertenversammlung 2016 aus. Für die Erarbeitung des BirdLife-Konzepts 2030 haben der BirdLife-Vorstand, die Kantonalverbände und Landesorganisationen viel investiert. An der DV 2017 wurde das Konzept mit fast absolutem Mehr gutgeheissen. Ein grossartiges Ereignis war unser 100-Jahr-Jubiläum 2022. Die BirdLife-Naturjuwelen, die Wanderausstellung und der Insektenflugsimulator und auch das fröhliche Fest mit über 400 Gästen aus der BirdLife-Familie überstiegen unsere Erwartungen. Das Jubiläum hat viele Naturschutzprojekte ausgelöst und Menschen zusammengebracht.

Hingegen macht mir die Polarisierung in der Politik grosse Mühe, die zunehmend fehlende Kompromissbereitschaft und somit die Unfähigkeit, Lösungen zu finden. Mit dem Beharren auf den eigenen Positionen ist eine Entwicklung kaum möglich, die insbesondere im Natur- und Umweltschutz dringender denn je ist.

In deiner Amtszeit hat sich der Verband mit Riesenschritten weiterentwickelt. War das eine Herausforderung oder geschah das eher automatisch?

Mit der Anstellung von Werner Müller 1979 als «Heckenberater» begann der Auf- und Ausbau der Geschäftsstelle von BirdLife Schweiz. Die BirdLife-Story zeigt die einzelnen Meilensteine exemplarisch auf. Den Entwicklungsschub der letzten drei Jahre hat der Vorstand bereits vor etlichen Jahren ins Auge gefasst. Mit dem Wechsel in der Geschäftsführung zu Raffael Ayé wurde der Stellenausbau in der Geschäftsstelle vollzogen. Es galt genau abzuwägen, welche neuen Stellen geschaffen und auch finanziert werden können.

Wie kann man sich die Zusammenarbeit im Vorstand vorstellen? Gibt es auch mal längere Diskussionen oder ist man meist einer Meinung?

Unsere Vorstandsmitglieder sind in ihren verschiedenen Tätigkeiten sehr engagiert. So kommen im Vorstand Erfahrungen aus unterschiedlichen Aktivitäten zusammen, entsprechend werden Geschäfte aus verschiedenen Standpunkten beurteilt. Die grössten Diskussionen ergeben sich jeweils, wenn ein neues Projekt in Betracht gezogen wird. Idealerweise kann sich die Diskussion über mehr als eine Sitzung erstrecken, um eine sorgfältige Abwägung zu gewährleisten. Ist der Entscheid gefallen, wird der Vorstand regelmässig durch die Geschäftsführung über die Fortschritte informiert; dieser holt auch für weitere Weichenstellungen die Meinung des Vorstands ein.

Du hast stets den Kontakt zu den Kantonalverbänden und einzelnen Sektionen gesucht und warst an den verschiedensten Anlässen der BirdLife-Familie präsent. Wie hast du die Zusammenarbeit über die Ebenen hinweg erlebt?

Wichtig ist, dass die Eigenständigkeit der einzelnen Vereine und Verbände respektiert wird. Die Kantonalverbände und BirdLife Schweiz sind einerseits Dienstleistungserbringer für die Sektionen, und andererseits verfolgen sie ihre eigenen Projekte, bei denen sich betroffene Sektionen als Partner beteiligen. Diese Zusammenarbeit bewährt sich und schafft Vertrauen, das auf allen Ebenen spürbar ist.

Der Verband ist föderalistisch aufgebaut; das letzte Wort auf nationaler Ebene haben die Delegierten der Kantonalver­bände und Landesorganisationen. Ist dieser Bottom-up-Ansatz in deinen Augen ein Vorteil?

Dieser Aufbau entspricht ganz unserem demokratischen System. Die Delegierten der Kantonalverbände werden von den Sektionsdelegierten gewählt, die ihrerseits von den Sektionsmitgliedern bestimmt worden sind. Es ist ein durchlässiges und transparentes System, in dem sich interessierte Mitglieder jederzeit einbringen und Verantwortung übernehmen können.

Was macht BirdLife sonst noch aus, und wo machst du Unterschiede zu anderen Naturschutzorganisationen aus?

BirdLife Schweiz ist die einzige Naturschutzorganisation, die in dieser Dichte bis auf Gemeindeebene so stark verankert ist – mit eigenem Programm, eigenen Finanzen und eigenen Naturschutzprojekten und -einsätzen. Die Bevölkerung wird vor Ort informiert und sensibilisiert, oft besteht auch ein Angebot für die Schulen. Um diese Stärke unseres Verbands zu unterstützen, konnte BirdLife Schweiz innerhalb des Programms «Lokal verwurzelt – schweizweit wirksam» eine neue Stelle schaffen, die in Zusammenarbeit mit den Kantonalverbänden die Sektionen in ihrer Entwicklung unterstützen wird.

Angesichts der riesigen Herausforderungen im Naturschutz: Was rätst du, um den Mut nicht zu verlieren?

Mit Gleichgesinnten kleine oder grössere Arbeiten in und für die Natur realisieren. Sich in einem Verein engagieren und seine Fähigkeiten für den Naturschutz einsetzen. Oder Leserbriefe schreiben und so der Natur eine Stimme geben.

Wohin führt dich nun dein weiterer Weg?

Ich möchte meine gewonnene Zeit und meinen freien Kopf vermehrt für Konzerte und Museumsbesuche verwenden, auch wartet ein Stapel von Büchern darauf, gelesen zu werden. Selbstredend will ich unbedingt mehr Zeit in der Natur verbringen, wandernd und beobachtend.

Letzte Frage: Gibt es eine Vogelart, die dir ganz besonders am Herzen liegt?

Keine einfache Frage... Mein Vogel wiegt ca. neun Gramm, ist braun, und sein Gross- und Kleingefieder ist stark gebändert. Er wird auch «Hagschlüpferli» genannt. Der Zaunkönig beeindruckt mich mit seiner starken Präsenz und seinem selbstbewussten Auftritt. Sein schmetternder Gesang erfüllt den Wald in jeder Jahreszeit. Er ist lebhaft und «wunderfitzig». An kalten, aber sonnigen Wintertagen erscheint er bei meiner Efeumauer und versucht, die von der Sonne geweckten Insekten zu erhaschen. Ein treuer Begleiter jahraus, jahrein.

Liebe Suzanne, wir wünschen dir alles Gute für die Zukunft!

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