«Vögel sind unser Frühwarnsystem»

BirdLife International. Martin Harper ist der neue CEO von BirdLife International. Ornis hat ihn gefragt, welches für ihn die Schwerpunkte auf internationaler Ebene sind und wie wir im Naturschutz gemeinsam noch mehr Erfolg haben können.


Martin Harper, Sie arbeiten seit 19 Jahren für BirdLife, zunächst bei der RSPB/BirdLife Grossbritannien, dann bei Bird­Life International. Wie kann man sich die Zusammenarbeit auf den verschiedenen Ebenen von BirdLife vorstellen?
Ein Hauptziel von BirdLife auf internationaler Ebene ist es, die Erkenntnisse über den Vogelschutz zu sammeln, um andere auf allen Ebenen zum Handeln zu inspirieren. Gleichzeitig unterstützen wir die Kapazitäten und Fähigkeiten unserer 120 BirdLife-Organisationen, um bestmöglich die Biodiversität zu fördern und zu schützen. Wir sind davon überzeugt, dass dauerhafte Veränderungen am besten durch starke nationale, unabhängige Organisationen der Zivilgesellschaft erreicht werden. Deshalb arbeiten wir hart daran, unsere nationalen Organisationen bestmöglich zu unterstützen.
Zusammenarbeit ist auch wichtig, um gemeinsam Einfluss zu nehmen, sowohl auf regionaler Ebene wie etwa in der EU als auch auf globaler Stufe, z. B. im Rahmen des Übereinkommens über die biologische Vielfalt. Wir arbeiten aber auch zusammen, um grenzüberschreitenden Naturschutz zu koordinieren, Innovationen auszutauschen und voneinander zu lernen.

Wie gut ist denn diese Zusammenarbeit zwischen den Bird­Life-Partnern, und kann sie verbessert werden?
Wir haben einige wunderbare Beispiele für gute Zusammenarbeit, so z. B. jüngst die erfolgreiche Kampagne in der EU zur Einführung des weltweit ersten Gesetzes, das Ziele für die Wiederherstellung der Natur festlegt, das «EU Nature Restoration Law» (siehe Seite 8). Auch andere Projekte über nationale Grenzen hinweg sind erfolgreich, wie jene für den Atlantischen Regenwald in Südamerika oder die Wälder Guineas in Westafrika. Auch im Rahmen von globalen Abkommen hat unsere Zusammenarbeit viel bewirkt. Wir können noch besser werden, aber wir bauen auf diesen Erfolgen auf und bilden Praxisgemeinschaften, damit wir gemeinsam lernen.

Wie viele Menschen arbeiten bei BirdLife International?
Unser Sekretariat besteht aus etwa 250 engagierten und fachkundigen MitarbeiterInnen aus 58 Ländern. Unser Team verteilt sich auf sechs Regionen (Afrika, Nord- und Südamerika, Asien, Europa und Zentralasien, Naher Osten und Pazifik) in elf Büros, darunter unser Hauptsitz in Cambridge (GB). Die Hauptbeschäftigungen sind Wissenschaft, Schutzprogramme, Politik, Partnerschaften und Kapazitätsaufbau, Fundraising und Kommunikation.

BirdLife International betreibt selber auch Forschung. Was wird erforscht und warum?
Die BirdLife-Artenförderungsprogramme, die Politik oder auch die Kommunikation werden durch wissenschaftliche Erkenntnisse untermauert. Durch unsere Datenerhebung und -analyse stellen wir sicher, dass die knappen Ressourcen effektiv eingesetzt werden. BirdLife-Organisationen führen ebenso wissenschaftliche Untersuchungen durch und legen Prioritäten auf nationaler Ebene fest. Unsere Veröffentlichungen in Fachzeitschriften machen BirdLife zu einer weltweit führenden Institution in der Naturschutzforschung. Wir ermitteln z. B. die Vogelarten, die am stärksten bedroht sind und führen die Rote Liste für Vögel. Oder wir eruieren die schützenswertesten Gebiete, oder die grössten Bedrohungen, die für den Schutz erforderlichen Massnahmen. Alle Daten und Analysen sind in der Data Zone auf der Website unter birdlife.org frei zugänglich.

Der Name BirdLife deutet darauf hin, dass die Vögel im Mittelpunkt der Arbeit der Organisation stehen. Ist das in vielen Ländern noch der Fall?
Vögel sind unser Frühwarnsystem, Indikatoren für eine sich verändernde Welt. Sie erfreuen und inspirieren uns und helfen damit, Menschen zu mobilisieren. Alle BirdLife-Organisationen verfügen über Fachwissen zu den Wildvögeln, aber alle setzen sich auch für den gesamten Naturschutz ein. Für mich ist BirdLife International eine Naturschutzpartnerschaft mit besonders viel Fachwissen über Wildvögel.

Ich glaube, dass Menschen vor allem durch inspirierende Geschichten der Hoffnung motiviert werden.

Einige BirdLife-Organisationen sind gross und haben Hunderte von Mitarbeitern, andere sind noch kleine Organisationen. Wie gehen Sie mit diesen Unterschieden um?
Wir wollen starke, unabhängige Organisationen in so vielen Ländern wie möglich. Ja, einige haben viel mehr Ressourcen als andere, aber viele sind bereit, ihre Ressourcen und ihr Fachwissen zu teilen, um den anderen zu helfen. Dies kann durch Partnerschaftsvereinbarungen geschehen, oder wenn Organisationen durch Ereignisse, die sich ihrer Kontrolle entziehen, überfordert sind, wie es in der Ukraine der Fall war. Die BirdLife-Gemeinschaft half der USPB/BirdLife Ukraine sowohl durch die Unterstützung von Flüchtlingen als auch bei der Aufrechterhaltung von Schutzprogrammen. Die Solidarität unter unseren Organisationen ist einer der Gründe, warum wir so erfolgreich sind.

Sie haben lang für die RSPB/BirdLife Grossbritannien mit 1,2 Millionen Mitgliedern gearbeitet. Wie erreicht die RSPB so viele Menschen?
Die Covid-19-Pandemie hat uns gezeigt, dass viele Menschen Trost in der Natur finden; die Vogelbeobachtung hat dabei an Beliebtheit gewonnen. Viele BirdLife-Partnerorganisationen meldeten einen Zuwachs an Unterstützung, und ich denke, die wichtigste Lehre daraus ist, den Menschen zu helfen, Vögel in ihrer Nähe zu erleben – bzw. Wege zu fördern, damit die Menschen mehr über Vögel und die Natur allgemein verstehen. So können wir z. B. die Menschen ermutigen, ihre Daten zu Citizen-Science-Projekten beizutragen. Je mehr Menschen mit der Natur in Berührung kommen, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie sich für sie interessieren, und desto grösser ist die Chance, dass sie sich für die Natur einsetzen.

Welche Erfahrungen und Erkenntnisse geben Ihnen Hoffnung, dass BirdLife etwas bewirken kann?
Zum einen verfügen wir über einen umfassenden Aktionsplan. Zum anderen haben wir in vielen Projekten bereits gezeigt, dass wir etwas bewirken können, wie etwa für die Albatrosse und die Geier, oder auch für viele Inseln im Pazifik, die jetzt frei von invasiven Arten sind. Solche Erfahrungen geben Zuversicht, dass wir noch mehr erreichen können.

2022 haben die meisten Länder das globale Rahmenübereinkommen von Montreal unterzeichnet. Wie viel Hoffnung haben Sie, dass dies nicht nur Lippenbekenntnisse sind?
Wir müssen alles in unserer Macht Stehende tun, damit es für Politikerinnen und Politiker wünschenswert und einfach ist, das Richtige zu tun, und es teuer ist, das Falsche zu tun. Deshalb ermuntern wir alle BirdLife-Organisationen, auf ihre Regierungen einzuwirken, damit diese die globalen Verpflichtungen in Gesetzen und politischen Massnahmen umsetzen. Wir werden die Fortschritte der Regierungen überwachen. Wo die Zivilgesellschaft frei ist und die Wahrheit verbreiten kann, werden wir unsere Unterstützer weiterhin dazu ermutigen, ihre Stimme für die Natur zu erheben.

Wie kann die Gesellschaft besser motiviert werden, die Natur konsequent und wirksam zu schützen?
Ich glaube, dass Menschen vor allem durch inspirierende Geschichten der Hoffnung motiviert werden. Wenn man zeigt, dass es möglich ist, eine Art zu fördern, einen Lebensraum wiederherzustellen oder die konkurrierenden Bedürfnisse von Mensch und Natur in Einklang zu bringen, hilft das vielen, daran zu glauben, dass Veränderungen möglich sind. Ermitteln und formulieren Sie Erfolgsrezepte und unterstützen Sie dann die Menschen dabei, die richtigen Dinge zu tun. Dies alles kann durch kreative Kampagnen untermauert werden, um Schäden bzw. schlechtes Verhalten zu verhindern und die Liebe der Menschen zur Natur zu demonstrieren.
Kluge Politiker haben das verstanden, aber wir müssen weiterhin argumentieren, warum die Natur wichtig ist. Wir mögen alle an den Eigenwert der Natur glauben, aber wir müssen auch deutlich machen, dass eine gesunde natürliche Umwelt den menschlichen Wohlstand unterstützt. Und wenn das nicht funktioniert, verweisen wir auf die Untersuchungen des Weltwirtschaftsforums. Diese zeigen, dass die vier grössten Risiken für die Weltwirtschaft in den nächsten zehn Jahren umweltbedingt sind – einschliesslich des Verlusts der biologischen Vielfalt und des Zusammenbruchs von Ökosystemen. Das sollte jede und jeden aufrütteln.

Stefan Bachmann ist Redaktor von Ornis.

 

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