Rekonstruierte Auen

Die grössten Flussrenaturierungen im Aargau. In den letzten acht Jahren hat der Kanton Aargau grosse Anstrengungen zur Aufwertung der Aare zwischen Aarau und Wildegg unternommen. Dabei ist das Kernstück des Auenschutzparks Aargau mit den grössten Renaturierungen im Kanton entstanden. Eine Verfassungsinitiative, die private Umwelt- und Naturschutzorganisationen lanciert hatten, war der Auslöser für die ergriffenen Massnahmen.


Bruno Schelbert

10.10.2011,

Am Unterlauf von vier grossen Flüssen liegt der Kanton Aargau. Die Flusstäler zeichnen sich aus durch flache, breite Schwemmebenen. Historische Gemälde belegen, dass die Gewässer einst durch wilde Flusslandschaften flossen; Überschwemmungen, Geschiebeverfrachtungen und Laufverlagerungen gehörten fast zur Tagesordnung. Inzwischen hat man aber längst allen Flüssen diese wilden Machenschaften abgewöhnt, mit der Folge, dass die Auengebiete um über 90 Prozent geschrumpft und deren Tier- und Pflanzenbewohner in arge Bedrängnis geraten sind.

Dieser Umstand führte dazu, dass 1993 die aargau­ischen Umweltverbände Alarm schlugen. Sie lancierten eine kantonale Volksinitiative zum Schutz der verbleibenden und zur Rekonstruktion neuer Auen (siehe Kasten «Auenschutzpark Aargau»).

Den Flüssen hat man die wilden Machenschaften längst abgewöhnt.

 

Die Aare: ein gestauter Fluss mit Potenzial


Auf den 130 Kilometern Flusslauf zwischen Bielersee und der Mündung in den Rhein stauen 12 Wasserkraftwerke die Aare ein. Lediglich 16 Kilometer gelten noch als freie, nicht eingestaute Fliessstrecke, wobei nicht vergessen werden darf, dass auch hier das Abflussregime durch die vielen Wehranlagen reguliert wird. Neben diesen unnatürlichen Abflussverhältnissen ist auch der Geschiebetrieb stark gestört. Obwohl die meisten Wehranlagen grundsätzlich für Geschiebe durchgängig sind, wirkt der oberliegende Stausee als Auffangwanne. Und vielen Seitenflüsschen geht es nicht besser, sodass der Aare bei Hochwasser kaum Geschiebe für den Weitertransport zur Verfügung steht. Das Geschiebe ist jedoch zusammen mit dem Hochwasser der Motor für die dynamischen Prozesse in den Auen. 

Diese Situation ist für das Schweizer Mittelland heute typisch. Hier prallen die meisten Nutzungsinteressen aufeinander, jeder Quadratmeter ist teilweise mit mehreren Nutzungen überlagert. Dies führte dazu, dass die einst grossflächigen Auengebiete schon längst den grössten Teil ihrer Ausdehnung eingebüsst haben. Der Renaturierungsbedarf ist gross, infolge Nutzungsinteressen in unserer dicht besiedelten Zivilisationslandschaft sind die Möglichkeiten aber bescheiden.

Zwischen Aarau und Wildegg ist die Aare seit über 60 Jahren durch den Betrieb von drei Kraftwerksanlagen beeinträchtigt. Dennoch gibt es an diesem Flussabschnitt Restbestände von Auenlebensräumen. Vor allem aber sind hier ein grosses Potenzial für Renaturierungen und gute Voraussetzungen vorhanden, solche umzusetzen.

Unter der Prämisse, dass weiterhin die Wasserkraft zur Stromproduktion genutzt werden soll, wurde als Referenzzustand nicht die Situation vor dem Kraftwerksbau festgelegt, sondern es wurden die Defizite aus Auensicht aufgezeigt. Flussaltarme, natürliche Ufer, Weichholz­auen, Geschiebeumlagerungen oder funktionstüchtige Fischwanderkorridore sind Beispiele für Elemente, die in diesem Auengebiet fehlten und die wieder hergestellt werden sollten. Gleichzeitig bestand die Möglichkeit,  durch Flussraumaufweitungen Vorkehrungen für den Hochwasser-Rückhalt zu treffen, die den flussabwärts liegenden Dörfern zugute kommen.

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Die Baustelle der dynamischen Flussaue Rupperswil liegt im Wald rechts der Aare. © Oekovision GmbH, 8976 Widen

 
Bagger und Lastwagen als Auenbewohner


2003 konnten erstmals Bagger auffahren und mit der Renaturierung eines 300 Meter langen Altarms in Aarau-Rohr beginnen (siehe Ornis 5/05). Seither sind schwere Baumaschinen ständige «Bewohner» dieser Auengebiete. Durch die Erhöhung der Restwassermenge beim Kraftwerk Rupperswil-Auenstein eröffneten sich 2006 neue Möglichkeiten für gewässerökologische Aufwertungsmassnahmen. Ein 660 Meter langes Umgehungsgewässer, ein 1500 Meter langes Seitengerinne und ein über 100 Meter langer technischer Fischpass sind die wichtigsten Massnahmen in Rupperswil.

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Für die Renaturierung sind schwere Baumaschinen notwendig. Der Fluss alleine schafft das bei uns heute nicht mehr. © Oekovision GmbH, 8976 Widen
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Das Umgehungsgewässer Rupperswil ist ein Fischwanderkorridor und ein Laichplatz. © Oekovision GmbH, 8976 Widen


Ausgelöst durch den Bau einer neuen Umfahrungsstrasse mit neuer Flussquerung konnte in Aarau-Rohr ein Hochwasserdamm auf einer Länge von über 900 Metern zurück versetzt werden. Hier kann sich nun wieder eine Weichholzaue einstellen. Rund drei Dutzend Amphibien-Laichgewässer wurden erstellt, drei Auenwaldreservate mit einer Fläche von über 80 Hektaren eingerichtet und auf rund 15 Hektaren Kulturland konnte eine extensive Bewirtschaftung vertraglich sichergestellt werden. In den vergangenen acht Jahren hat der Kanton Aargau allein in den Gemeinden Aarau-Rohr und Rupperswil insgesamt über 22 Mio. Franken für die Auenrevitalisierung investiert. Damit handelt es sich um die grösste Flussrenaturierung im Aargau.

Unterwegs im Auenschutzpark


Auf einer knapp 10 Kilometer langen, gemütlichen Wanderung vom Telliquartier in Aarau zum Bahnhof Wildegg lassen sich die neu geschaffenen Auengebiete erkunden. Die folgenden Stellen, die auf der Karte unten mit Punkten markiert sind, sind besonders interessant:

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Karte der Auengebiete


(1) Die Suhre hat mehr Platz erhalten. Ein Beispiel dafür, dass bereits eine kleine Gerinneaufweitung mitten im Siedlungsraum eine lokale Dynamik mit Geschiebeumlagerung ermöglicht.

(2) Die zukünftige Weichholzaue im Rohrer Schachen bildet das Herzstück der Ausgleichsmassnahmen für die neue Umfahrungsstrasse. Hier wurden der Hochwasserdamm zurückverlegt, die Verbauung entfernt und die Uferbereiche abgesenkt, sodass eine regelmässige Überflutung möglich wird. Dies sind optimale Bedingungen für das Aufwachsen einer Weichholzaue.

(3) An verschiedenen Stellen im Wald wurden Kleingewässer als Laichplätze für Amphibien angelegt. Solche Gewässer waren bisher im Aaretal Mangelware. Die vorhandenen Fliessgewässer eignen sich wegen Fressfeinden wie Fischen weniger für die Fortpflanzung und das Aufkommen von Amphibien. 

(4) Mit dem Bau des über 300 Meter langen Flussaltwassers in einem Fichten-Pappel-Wald konnte der Auenschutzpark Aargau 2003 die erste Renaturierungsmassnahme starten. Dieser nachgebildete Altarm wird nur durch Grundwasser gespeist. Ziel war es, mit unterschiedlich tiefen Wasserbereichen und verschiedenen Uferstrukturen eine Vielfalt an Lebensräumen anzubieten, die sich mit der Zeit selber zu einer Altwasser-Lebensgemeinschaft entwickeln können.

(5) Unmittelbar angrenzend, auf ehemaligem Kulturland, wurde im Sommer 2011 die letzte Renaturierung ausgeführt: Hier wird eine Sumpflandschaft entstehen. Dabei handelt es sich um einen Ersatzstandort für ein verlandetes und trocken gefallenes Amphibienlaichgebiet von nationaler Bedeutung am Rand der Bauzone. Durch regelmässigen Unterhalt soll versucht werden, diese Tümpellandschaft permanent im Pionierstadium zu halten.

(6) Gleichzeitig mit dem Altarm Aarschächli wurden noch drei weitere unzugängliche Kleingewässer erstellt. Sie bieten ideale Bedingungen für die Fortpflanzung von Amphibien und Libellen, aber auch für Wasservögel und den Biber.

(7) Um das Wehr beim Kraftwerk Rupperswil-Auenstein hat der Kanton Aargau einen 660 Meter langen Seitenarm gebaut. Im naturnahen Gerinne wechseln sich flache Kiesschnellen, in denen Fische wie Nase, Äsche oder Forelle laichen, mit Tiefenwasserbereichen ab, die als eigentliche Wanderkorridore gelten. Dazwischen sind tiefe Becken, die den Fischen als Ruhebereiche dienen.

(8) Als Verbindung zur neuen Wehrturbine, die das Restwasser nutzt, wurde ein technischer Fischpass durch die Ufermauer erstellt. Dadurch wurde die ganze Anlage zum eigentlichen Umgehungsgewässer. Am oberen Ende dieses Fischpasses ist eine Zählkammer für die Überwachung der Fischwanderung eingebaut. Wenn keine Fische gezählt werden, kann hier jedermann durch spezielle Beobachtungsfenster das Geschehen im Fischpass und im Umgehungsgewässer verfolgen.

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In der Fischzählkammer können die aufsteigenden Fische durch ein Panzerglas beobachtet werden. © Oekovision GmbH, 8976 Widen


(9) Unterhalb des Kraftwerks Rupperswil-Auenstein befindet sich einer der letzten Aareabschnitte, wo die Wiederherstellung eines verzweigten Flusslaufs mit unverbauten Ufern und Anrissstellen möglich war. Durch die teilweise Entfernung des durchgehenden Blocksteinsatzes am alten Aareufer von Rupperswil wird sich wieder ein naturnahes Ufer entwickeln können. Zusätzlich wurde das Flussbett der Alten Aare mit Kiesschüttungen und Baumbuhnen in einen strukturreichen und attraktiven Gewässerabschnitt umgestaltet.

(10) Im Herbst 2009 wurde damit begonnen, mit Maschinenkraft ein rund 1,5 Kilometer langes Seitengewässer auszuheben. Es weist eine Sohlenbreite von 20 Metern auf und hat bei Niederwasser eine Wassertiefe von 0,5 Meter. Dies wird sich aber schnell ändern, denn die Hochwasser sollen die Feinmodellierung und Sohlengestaltung selber übernehmen. Die dadurch entstandene Insel ist unzugänglich und soll möglichst störungsfrei bleiben.

(11) Zur Überwindung des Höhenunterschieds vom Steinerkanal ins neue Seitengewässer wurde eine Mündungsrampe erstellt. Dieses Raugerinne ermöglicht den Fischen die ungehinderte Wanderung in diesen grundwassergespeisten Bach.

(12) Eine Schwelle in der Aare zur Stabilisierung der Flusssohlen war bisher für Fische kaum zu überwinden. Deshalb wurde sie im Februar 2010 in eine aufgelöste Blocksteinrampe umgebaut, um den Wasserbewohnern den Aufstieg zu erleichtern. 

(13) Der Uferweg im Bereich Fahrschachen musste den Renaturierungen weichen. Als Ersatz konnte die Auensteiner Insel mit zwei Fussgängerstegen erschlossen werden. Von hier aus sind wunderbare Einblicke auf die dynamischen Flussufer möglich.

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Die neue Spannbandbrücke über die Aare bei Rupperswil gehört zu den flankierenden Massnahmen, mit denen die Akzeptanz der Flussrenaturierung bei der Bevölkerung erhöht wurde. © Oekovision GmbH, 8976 Widen

 
Mehr Natur – auch für den Menschen


Im dicht besiedelten Mittelland sind Fliessgewässer, insbesondere Auen, beliebte Naherholungsgebiete. Neben der eigentlichen Renaturierung sind zusätzliche flankierende Massnahmen nötig, damit die Bevölkerung das Vorhaben akzeptiert. Zwischen Aarau und Wildegg mussten entlang des renaturierten Aareabschnitts Parkplätze vergrössert, zwei neue grosse Fussgängerstege von je rund 100 Metern Spannweite erstellt, ein Fussballplatz verlegt, elektrische Freileitungen verschoben, Wanderwege und Radstreifen neu angelegt, Feuerstellen installiert und Informationstafeln aufgestellt werden.

Die renaturierten Gebiete sind beliebt, dies zeigen die Besucherzahlen und die vielen Anfragen für geführte Exkursionen. Eine Besucherlenkung ist daher notwendig, sonst haben störungsempfindliche Arten keine Chance. Dies erfolgt in erster Linie durch geschicktes Anlegen des Wegnetzes und der Naturelemente; ein Wassergraben ist der beste Zutrittsschutz. Der Auenschutzpark ist kein Nationalpark. Hier gelten die üblichen Regeln wie in Naturschutzzonen oder im Wald. 

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In der dynamischen Flussaue Rupperswil darf die Aare wieder Kies umlagern und ihren Lauf selber suchen. © Oekovision GmbH, 8976 Widen


Mit dem Abschluss der dynamischen Flussaue in Rupperswil geht eine rege Bautätigkeit zwischen Aarau und Wildegg zu Ende. Sie folgte auf eine intensive Renaturierungsphase beim Zusammenfluss von Aare, Reuss und Limmat oder an der Bünz bei Möriken und in der Nähe des Klingnauer Stausees. Die nächsten grossen Projekte sollen am Rhein oberhalb der Aaremündung, an der Aare ob Brugg und im Freiamt umgesetzt werden. 

Bruno Schelbert ist Kultur- und Energieingenieur und arbeitet als Programmleiter des Auenschutzparks Aargau beim Departement Bau, Verkehr und Umwelt des Kantons Aargau in Aarau.

 

 

Geführte Exkursionen:

Buchungen über www.naturama.ch, Rubrik Natur und Klima oder
Hans-Rudolf Kunz, Tel 062 832 72 28, hans-rudolf.kunz@naturama.ch
Daniela Rast, Tel. 062 832 72 66, daniela.rast@naturama.ch

 

Auenschutzpark Aargau


1994 trat eine Verfassungsbestimmung in Kraft, die den Aargau verpflichtet, innert 20 Jahren auf mindestens einem Prozent der Kantonsfläche einen Auenschutzpark zu schaffen. Dieser Auftrag ist durch eine Volksinitiative zustande gekommen, die von mehreren kantonalen Umweltverbänden gemeinsam lanciert und mit über 66 Prozent vom Stimmvolk angenommen worden war. Dabei handelt es sich um ein Renaturierungsprogramm, das ausgehend von den Resten der ehemaligen Flussauen entlang von Aare, Reuss und deren Zuflüssen umgesetzt werden soll.

Bisher konnten 11,8 Kilometer neue Fliessgewässer, knapp 10 Kilometer renaturierte Flüsse und Bäche sowie 8 Kilometer dynamische Ufer unter diesem Programm realisiert werden. 24 Hektaren Land werden zusätzlich periodisch überflutet. 104 Tümpel und Kleinseen wurden neu erstellt und 50 verlandete Weiher unterhalten, sodass für Amphibien und Libellen heute insgesamt gut 8 Hektaren neue Stillgewässer bereitstehen. 

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