«Sevill Vegil!»

Natur- und Vogelschutzverein Oberwallis (NVO). Wer es sich zur Aufgabe macht, Natur und Vögel in einer der artenreichsten Regionen der Schweiz zu schützen, trägt eine grosse Verantwortung. Der NVO ist im Oberwallis aktiv, einem Hotspot der Biodiversität. Er setzt schwergewichtig auf Öffentlichkeitsarbeit – und hat Erfolg damit.


Peter Balwin

05.08.2015, Ornis 4/15

Unvermittelt bremst Martin Eyer, der Präsident des Natur- und Vogelschutzvereins Oberwallis (NVO), sein Auto ab, stellt den Blinker und biegt gekonnt ins enge Parkfeld ein. Wir sind nach kurzer Fahrt von Visp her beim Biotop Brigerbad angekommen. Ein warmer Bergwind streicht um die Nase; zusammen mit der hauchdünnen grauen Wolkendecke hoch über den Bergspitzen kündigt er den baldigen Wetterumschlag an.

Martin Eyer kennt das Gebiet wie seine Feldstecherhülle. Hier hat er unzählige Exkursionen geführt, Pflegeeinsätze koordiniert, die Besucherlenkung verbessert, Abfall entfernt. Der 3,5 Hektaren grosse Rest einer einstigen Aue liegt entlang der schnur­geraden und stark befahrenen Verbindungsstrasse, direkt am Rhone-Damm zwischen Visp und Brig. Solche Feuchtgebiete sind heute rar am Grund des Walliser Rhonetals, das für seine geringen Niederschläge bekannt ist.

Am anderen Ende des Parkplatzes wartet ein weiteres Vorstandsmitglied der SVS-Sektion: Gabriel Wyer, der Vizepräsident und Verantwortliche für das Kurswesen – ein wichtiger Posten im Verein. «Als ich von zu Hause aufbrach, flogen drei Wiedehopfe um die Ecke meines Hauses. Und nachts ruft die Zwergohreule, das Joopi, wie wir Walliser sagen!», schwärmt Wyer und verdeutlicht damit, dass wir in einem Hotspot der Artenvielfalt stehen. Kaum eine zweite Region der Schweiz weist eine derart hohe Artenvielfalt auf, inklusive vieler gefährdeter Spezies. 

Auch Ruedi Salzgeber ist zum Biotop gekommen. Er war im Jahr 1990 der Mitbegründer und erste Präsident des damaligen Natur- und Vogelschutzvereins Visp und Umgebung, wie sich der NVO früher nannte. Heute steht Ruedi Salzgeber dem vierköpfigen Vorstand als fachlicher Berater zur Seite. Er meint kritisch: «Wir leben hier zwar mitten in einer unglaublichen Artenvielfalt – aber im Allgemeinen kennen die Walliser die Vögel schlecht.» Aus dieser Erkenntnis heraus hat der NVO die Sensibilisierung der Oberwalliser Bevölkerung für die Schönheiten der Natur und für die faszinierende Welt der Vögel zur Hauptaufgabe bestimmt.

Naturverständnis fördern


Seither schreibt der NVO jedes Jahr etliche Vortragsabende zu Naturthemen aus, organisiert Vogel­exkursionen in der Region und bildet an ornithologischen wie auch botanischen Fachkursen eigene Exkursionsleitende aus. Solche Fachkurse stärken die eigenen Reihen, weshalb der NVO alle paar Jahre einen Kurs für Leitende von ornithologischen Exkursionen auf die Beine stellt. Gerade Mitte Juni endete der erste Teil einer dieser Ausbildungen, ein Feldornithologie-Kurs. Waren es am Start des Kurses vor anderthalb Jahren stolze 16 Teilnehmende, so haben deren 8 bis zur Prüfung durchgehalten.

Auch den Einbezug der Jugend möchte die Walliser SVS-Sektion grundlegend angehen. «Kürzlich schlugen wir der Pädagogischen Hochschule Wallis vor, Kurse in Vogelkunde in der Lehrerfortbildung anzubieten», erklärt Gabriel Wyer, «In diesen Kursen möchten wir den Lehrpersonen der obligatorischen Schulstufen ein vogelkundliches Grundwissen für ihren Schulalltag vermitteln.» Wer seinen Schülerinnen und Schülern die Vogelwelt näherbringen kann – und sei dies nur schon rund ums Schulhaus – , wirkt als wertvoller Multiplikator punkto Naturverständnis. Zurzeit ist man beim NVO gespannt, wie die Antwort ausfallen wird.

Mitmachen ist gefragt


Viele der NVO-Vortragsabende haben sich offenbar bereits einen legendären Ruf erworben. Platzmangel herrscht meistens beim jährlichen Naturfoto-Abend im November. Und allein zu einem Vortrag in den 1990er-Jahren über Schmetterlinge (hier sagt man: «Pfyfoltru») kamen 140 Personen, und das Eulen-Referat liessen sich über 50 Interessierte nicht entgehen. «Viele neue Mitglieder», resümiert Präsident Martin Eyer, «verdanken wir unseren zahlreichen öffentlichen Veranstaltungen.» Weil sich allerdings Ein- und Austritte die Waage halten, zählt der NVO seit bald zwei Jahrzehnten unverändert etwas mehr als 200 Mitglieder. Doch die Mitglieder scheinen sich sehr mit ihrem Verein zu identifizieren – immerhin erscheinen gut 20 Prozent davon an der jährlichen Generalversammlung. 

Nicht nur die Versammlungen des Vereins werden gut besucht – auch wenn der Vorstand zu Projekten aufruft, machen viele mit. Zum Beispiel bei den ornithologischen Bestandsaufnahmen für den neuen Brutvogelatlas der Schweiz, welcher von der Schweizerischen Vogelwarte Sempach herausgegeben wird: Ein Zehntel aller NVO-Mitglieder meldeten sich spontan für diverse Atlas-Kartierungen im Oberwallis an. Und kaum hatte der lokale Radiosender, Radio Rottu, Wind von der Sache bekommen, nahmen die Radioleute mit Martin Eyer eine Reportage auf zum Thema Vogelinventar. «Nach der Ausstrahlung im Mai bekamen wir ein grosses Echo zu spüren; überall und immer wieder hat man uns auf diese Sendung angesprochen», freut sich Präsident Eyer noch heute.

Unterdessen sind wir plaudernd auf dem kleinen Pfad entlang des Schilfgürtels und der Wasserflächen spaziert und erreichen nun den Beobachtungshügel im westlichen Teil des Biotops Brigerbad. Die Pflege-Einsätze in diesem Biotop verlaufen erfreulich. Man teilt sie sich unter den Trägern der «Stiftung Lonza-Biotop Brigerbad» auf: NVO, Pro Natura Wallis und auch die Jungjäger des Oberwalliser Jägerverbandes stehen im Schutzgebiet im Einsatz. Während solcher Arbeitstage im Dienst des Naturschutzes wird unter anderem viel Abfall, denn das Schutzgebiet liegt in «Wurfdistanz» von der Autostrasse entfernt. Danach ist Geselligkeit angesagt, was für ein aktives Vereinsleben genau so wichtig ist.

NVO Oberwallis Eyer Wyer Salzgeber 4

Der Natur- und Vogelschutzverein Oberwallis (NVO) ist zusammen mit anderen Organisationen im Stiftungsrat des Lonza-Biotops Brigerbad. Dies ist eines der ganz wenigen Feuchtgebiete im klimatisch trockenen und von der Zivilsation stark genutzten Talboden des Wallis. © Peter Balwin

Ein Vogelbuch tut not


Eine laut singende Nachtigall versucht aus einem nahen Gebüsch, unsere Gespräche über den NVO und seine Aktivitäten zu übertönen. «Wenn man im Oberwallis wohnt, müsste man fast ein Vogelfan sein!», wirft Ruedi Salzgeber verschmitzt in die Runde, und erzählt, dass den hiesigen Vogelschützern immer wieder Reklamationen zu Ohren kommen von Leuten, die nachts nicht schlafen können – weil die Zwergohreule zu laut ruft... Dies verdeutlicht, dass bei vielen Bewohnerinnen und Bewohnern des Hotspots Oberwallis das Gespür für die Vögel, wie es scheint, noch etwas stärker entwickelt werden muss. Ein grosses und langjähriges Vorhaben des NVO könnte in solchen Fällen die nötige Hilfe leisten: Ein Vogelbuch tut not!

Seit den 1940er-Jahren gibt es keine neue Gesamtschau über die Vögel des Wallis. Das weiss der NVO und wollte deshalb zu seinem 20-Jahr-Jubiläum im Jahre 2010 sein Buchprojekt abschliessen und erstmals seit rund 70 Jahren ein populäres Werk über «Die Vögel des Wallis» heraus­geben. Obwohl die Texte geschrieben, die Fotos ausgewählt und die Finanzen geregelt sind, verzögert sich die Publikation aus Zeitgründen.

Doch auch ohne Buch ist die breitgestreute Arbeit des Natur- und Vogelschutzvereins Oberwallis von Erfolgen gekrönt. Dass die einzigartigen Naturwerte dieser Region Schritt für Schritt ins Bewusstsein der Bevölkerung vordringen, ist dem aktiven NVO zuzuschreiben. Und nichts umreisst diese Erfolge besser als die Erkenntnis von einem, der offensichtlich die Anfängerangst eines Einsteigers überwunden hat: «I hetti niä gideicht, dass hiä sevill Vegil het!»

 

Peter Balwin von der Ornis-Redaktion hat den Natur- und Vogelschutzverein Ober­wallis Mitte Juni 2015 besucht.

 

Jetzt Ornis abonnieren und weiterlesen!

Ornis ist die Zeitschrift über Vögel, Natur und Naturschutz. Entdecken Sie 6-mal im Jahr wunderbar bebilderte Berichte, Reportagen aus dem In- und Ausland, Portfolios und vieles mehr!

Haben Sie ein Abo? Melden Sie sich an (Link ganz oben) und lesen Sie innert Sekunden weiter.
 

Jetzt Ornis abonnieren und weiterlesen!