Agrarpolitik 2030+. Aktuell ist die Landwirtschaftspolitik ab 2030 in Erarbeitung. Was muss sich ändern, damit eine biodiversitätsfreundliche Landwirtschaft Realität wird? BirdLife Schweiz setzt sich mit konkreten Vorschlägen für den notwendigen Kurswechsel ein.
Die Biodiversität im Landwirtschaftsgebiet blieb in den letzten zehn Jahren auf tiefem Niveau stabil. Zu diesem Ergebnis kommt das nationale Monitoring zur Vielfalt der Lebensräume und Arten im Kulturland (ALL-EMA). Das ist ein ernüchterndes Resultat, angesichts der massiven Biodiversitätsverluste in den Jahrzehnten davor. Es zeigt: Die aktuelle Agrarpolitik schafft es nicht, die Trendwende einzuleiten. Dies, obwohl die «Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen» zum Verfassungsauftrag an die Landwirtschaft gehört.
Mit der Agrarpolitik 2030+ (AP 2030+) laufen aktuell die Arbeiten für die nächste Reformetappe. Was braucht es, damit die zukünftige Landwirtschaftspolitik den Verfassungsauftrag auch umsetzt? Und wie engagiert sich BirdLife Schweiz, damit die AP 2030+ eine biodiversitäts- und klimafreundliche Landwirtschaft fördert?
Einseitig geprägte Debatte
Die aktuelle Debatte wird von zwei Forderungen von Seiten Landwirtschaft dominiert. Zum einen soll das landwirtschaftliche Einkommen erhöht werden, zum anderen das System vereinfacht bzw. der administrative Aufwand der Betriebe reduziert werden. Grundsätzlich handelt es sich dabei auch aus Sicht von BirdLife um legitime Anliegen, die im Rahmen der AP 2030+ berücksichtigt werden können. Erschreckend ist jedoch, dass die ökologischen Ziele auf der Strecke zu bleiben drohen. Dies wäre fahrlässig, ist doch eine zukunftsfähige Landwirtschaft auf eine intakte Biodiversität und deren Leistungen angewiesen (siehe Illustration).
Die Schweiz importiert pro Jahr schier unglaubliche 1,1 Millionen Tonnen Kraftfutter. Damit wird ein Produktionssystem aufrechterhalten, das die ökologischen Grenzen des Agrarlandes bei Weitem sprengt. Dies, obwohl kaum ein anderes Land so gute Voraussetzungen für die einheimische Versorgung ihrer Nutztiere hat. 70 % der Landwirtschaftsfläche bestehen aus Grasland. Es ist selbstredend, dass langfristig nur ein faires Einkommen in der Landwirtschaft erzielt werden kann, wenn die natürlichen Produktionsgrundlagen erhalten bleiben.
Mit dem «Zukunftsbild 2050» hatte der Bundesrat im Sommer 2022 die Ausrichtung für die zukünftige Agrarpolitik definiert. Zur Erreichung eines nachhaltigen Ernährungssystems soll die gesamte Wertschöpfungskette in die Pflicht genommen werden, sprich nebst der Produktion auch Verarbeitung, Handel und Konsum. Konkret werden vom Bundesrat zwei grosse Hebel identifiziert: die Reduktion der Lebensmittelverschwendung und die Nutzung der Ackerfläche primär für die direkte menschliche Ernährung.
Gegenwärtig werden auf 60 % der Schweizer Ackerflächen Futtermittel produziert. Man stelle sich vor, auf den Äckern – den fruchtbarsten Böden des Kulturlands – würden stattdessen vorwiegend Lebensmittel für Menschen angebaut. Mit dieser Umstellung könnten auf einen Schlag grosse Fortschritte für Klima und Biodiversität erzielt werden. Denn weniger Futtermittel führt zu einem reduzierten Tierbestand und damit zu einer deutlichen Senkung der Treibhausgasemissionen. Gleichzeitig hätte dies eine Reduktion der Nährstoffüberschüsse, insbesondere von Stickstoff, zur Folge. Letztere sind massgeblich dafür verantwortlich, dass die Biodiversität in der Schweiz nicht nur im Agrarland, sondern auch im Wald und in den Gewässern beeinträchtigt wird.
Eckpfeiler einer ökologischen Agrarpolitik
Die künftige Vermeidung von Foodwaste und die primäre Nutzung der Äcker für die direkte menschliche Ernährung sieht auch BirdLife Schweiz als wichtige Eckpfeiler einer ökologischen Agrarpolitik an. Hinzu kommen drei weitere Hebel: – die Abschaffung biodiversitätsschädigender Subventionen, – die massive Reduktion der Kraftfutter-Importe sowie – die Weiterentwicklung der Biodiversitätsförderung.
Denn: Für eine nachhaltige Land- und Ernährungswirtschaft müssen als Erstes die Fehlanreize im System umgelenkt oder beseitigt werden. Dazu gehören u. a. Zahlungen für Strukturverbesserungen und die Absatzförderung für Fleisch und Eier. Erstere führen zu überdimensionierten Stallbauten und einer weiteren Intensivierung der Landwirtschaft. Und die Absatzförderung für Fleisch und Eier widerspricht dem Ziel, die pflanzliche Produktion zu stärken. Das sind lediglich zwei von insgesamt 40 Subventionen der aktuellen Agrarpolitik, die in einer Studie der eidg. Forschungsanstalt WSL als biodiversitätsschädigend beurteilt wurden.
Die Beratung und die Aus- und Weiterbildung der Landwirt/innen im Bereich Biodiversität müssen deutlich ausgebaut werden.
Schliesslich braucht es eine gezielte Stärkung der Biodiversitätsförderung. Dies bedeutet erstens: Landwirte sollen mit einem progressiven Beitragssystem stärker dazu motiviert werden, besonders hochwertige Biodiversitätsförderflächen (BFF) zu schaffen. Im aktuellen System gibt es nämlich keine weitergehenden Anreize für Betriebe, welche die relativ bescheidene Qualitätsstufe II erreicht haben. Zweitens gilt es, die Qualität der BFF nicht rein auf die botanische Vielfalt, sondern auch auf die Ansprüche der Tierarten auszurichten. So lassen sich z. B. dort, wo die geforderten Zeigerpflanzen aufgrund topografischer Verhältnisse nicht erreicht werden können, mit passenden Strukturen hochwertige Flächen für Vögel und andere Arten schaffen. Drittens müssen die Beratung sowie die Aus- und Weiterbildung der Landwirt/innen bezüglich Biodiversität deutlich ausgebaut werden. Der Erfolg einer gesamtbetrieblichen Beratung zeigt sich beispielhaft in BirdLife-Artenförderungsprojekten wie dem Obstgarten Farnsberg.
Zusammenarbeit in Allianzen
Damit unsere Massnahmenvorschläge im aktuellen Umfeld Gewicht erhalten, sind wir auf Verbündete aus unterschiedlichen Lagern angewiesen. Entscheidend sind dabei Allianzen mit Akteuren aus der Landwirtschaft. Die Agrarallianz stellt eine solche Plattform dar, in der tragfähige Kompromisse erarbeitet und in den politischen Prozess eingebracht werden. Unter den rund 20 Mitgliedern der Agrarallianz sind nebst Umwelt-, Konsumenten- und Tierwohlverbänden auch Produzentenorganisationen wie Bio Suisse, IP-SUISSE und Mutterkuh Schweiz vertreten. Dank dieser Breite hat die Agrarallianz eine hohe Glaubwürdigkeit gegenüber Verwaltung und Politik.
BirdLife Schweiz vertritt die Agrarallianz in der Begleitgruppe des Bundes zur AP 2030+. Dort werden die Vorschläge der Verwaltung gemeinsam mit den Branchen, Wirtschaftsverbänden und weiteren Akteuren diskutiert und beurteilt. Parallel bringen wir unsere Forderungen auch im direkten Gespräch mit dem Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) ein.
Ein nächster Meilenstein im Ringen um die zukünftige Agrarpolitik steht 2026 mit der öffentlichen Vernehmlassung an. BirdLife setzt sich dafür ein, dass die Eckpfeiler einer ökologischen Agrarpolitik von möglichst vielen Akteuren mitgetragen werden. Damit eine biodiversitätsfreundliche Landwirtschaft keine Ausnahme bleibt, sondern die Regel wird.
Jonas Schälle ist Projektleiter Landwirtschaft bei BirdLife Schweiz.
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