Holzhaufen: für Kröten vonnöten

Kleinstrukturen für Amphibien. Amphibien benötigen nicht nur Fortpflanzungsgewässer, sondern auch geeignete Landlebensräume. Holzhaufen spielen dabei eine zentrale Rolle.


Die aquatische Fauna und Flora ist in der Schweiz stärker bedroht als landbewohnende Tiere und Pflanzen. In aquatischen Lebensräumen verläuft der Artenschwund fünfmal schneller als an Land. Besonders stark unter Druck sind die Amphibien: Von den 20 einheimischen Arten gelten 70 Prozent als gefährdet. Schutzmassnahmen für diese Tiergruppe sind deshalb besonders dringend. 

Da Amphibien an Land und im Wasser leben, müssen sowohl die Fortpflanzungsgewässer als auch die Landlebensräume geschützt und gepflegt werden. Die Förderung der Amphibien durch die Neuanlage und Pflege von Gewässern ist in der schweizerischen Naturschutzpraxis bereits etabliert; neben dem Schutz der Amphibien vor dem Tod auf der Strasse ist die Anlage eines «Biotops» geradezu eine Standard-Massnahme im Amphibienschutz. Allerdings ist hier eine verstärkte Neuausrichtung auf regelmässig trockenfallende Gewässer notwendig, denn nur sie sind gute Fortpflanzungsgewässer für Amphibien.

Die meisten Amphibienarten verbringen den Grossteil des Jahres und damit den Grossteil ihres Lebens jedoch an Land. Daher sind gute Landlebensräume ebenso wichtig wie gute Fortpflanzungsgewässer. Über die Lebensweise der Amphibien an Land und über die Ansprüche an den Landlebensraum ist allerdings nur relativ wenig bekannt, und was bekannt ist, lässt sich oft nicht direkt in die Naturschutzpraxis umsetzen. 

 

Lebensraumqualität am Tagliamento

Um herauszufinden, wie auch bei uns die Qualität des Landlebensraums für Amphibien mit einfachen, praxistauglichen Massnahmen verbessert werden kann, führten wir in der Wildflussaue des Tagliamento in Italien eine Studie durch. Um die Ergebnisse breiter abstützen zu können, untersuchten wir zwei Arten mit unterschiedlicher Lebensweise: die Wechselkröte als Pionierart und die Erdkröte als Allerweltsart. Zwar ist die Wechselkröte in der Schweiz ausgestorben, sie ist aber ökologisch mit der heimischen Kreuzkröte vergleichbar. Uns interessierte insbesondere, wie die beiden Krötenarten den Landlebensraum nutzen. 

Mit Hilfe der Radio-Telemetrie beobachteten wir, wie sich die Tiere im Raum bewegten. Dabei zeigte sich klar, dass Schwemmholzhaufen das wichtigste Element im Landlebensraum der Kröten sind. Die Schwemmholzhaufen befinden sich nicht im Wald, sondern auf offenen Kiesflächen im rund 850 Meter breiten Flussbett. Sie entstehen durch Ablagerung von Treibholz während Hochwassern. Solche Schwemmholzhau-fen dienen den Amphibien als Unterschlupf zum Schutz vor Austrocknung oder Fressfeinden, wegen der vielen dort lebenden Insekten aber auch als Fressplatz.

In unserer Studie vergrösserten die Kröten ihren Bewegungsradius so lange, bis er eine gewisse Mindestmenge an Holzhaufen umfasste. Die Mindestmengen sind beeindruckend gross: Eine Erdkröte benötigt in ihrem Landlebensraum 47 m2 Holzhaufen, eine Wechselkröte gar 67 m2. Pro Hektare sind dies bei der Erdkröte 750 m2 und bei der Wechselkröte 233 m2 Holzhaufen. Wechselkröten benötigen zwar pro Individuum mehr Holzhaufen als Erdkröten. Weil aber ihr Bewegungsradius grösser ist als jener der Erdkröten, ist der Bedarf pro Hektare geringer. 

Schwemmholzhaufen gibt es in der Aue des Tagliamento in unterschiedlichen Grössen. Die kleinsten sind nur gerade ein Quadratmeter gross, die grössten bis zu 50 m2. Bei der Erdkröte beobachteten wir keine Präferenz für eine bestimmte Grösse der Holzhaufen; alle Grössen von 1 bis 50 m2 wurden gleichermassen genutzt. Auch die Wechselkröte nutzte Holzhaufen jeder Grösse, bevorzugte aber kleine Holzhaufen um 5 m2.

Aus der Studie am Tagliamento ergeben sich Erkenntnisse, die auch relevant sind für den Schutz und die Förderung von Amphibien. Erstens: Holzhaufen sind ein wichtiger Teil des Landlebensraums der Amphibien. Zweitens: Je mehr Holzhaufen es in einem Landlebensraum gibt, desto attraktiver ist er für die Amphibien. Oder anders gesagt: Wo es viele Holzhaufen gibt, können auf gleicher Fläche mehr Kröten leben als in Lebensräumen ohne Holzhaufen. Holzhaufen sind also eine einfache Möglichkeit, die Qualität des Landlebensraums für Amphibien zu erhöhen. Zudem profitieren von den Holzhaufen nebst den Amphibien auch viele andere Tiere. 

Amph Erdkroete
Eine Erdkröte benötigt in ihrem Landlebensraum mindestens 47 m2 Holzhaufen. © Andreas Meyer
Amph Lachmatt
Mit Holz, das bei der Biotoppflege anfällt, lassen sich für Amphibien geeignete Landlebensräume schaffen. © Benedikt R. Schmidt


Kulturlandschaft wieder möblieren


Wie lassen sich diese Erkenntnisse nun auf die Verhältnisse in der Schweiz übertragen? Die grossen Kiesflächen in der Wildflussaue des Tagliamento sind ja ein extremer Lebensraum, der mit unserer Kulturlandschaft nicht vergleichbar ist. Doch Wildflussauen waren wohl der ursprüngliche Lebensraum der Amphibien. Die Kiesflächen in der Aue sind – aus Sicht der Amphibien – auch durchaus vergleichbar mit ausgeräumten, strukturlosen Agrarlandschaften.

Holzhaufen sind eine einfache Möglichkeit, Agrarlandschaften zu «möblieren» und so für Amphibien wieder attraktiv zu machen. Nimmt man die Zahlen vom Tagliamento als Mass, so gibt es für Amphibien in der Schweiz kaum irgendwo ausreichend Holzhaufen – gemäss den Zahlen des Landesforstinventars nicht einmal im Wald. Aus Sicht der Amphibien kann man nicht zu viele Holzhaufen anlegen, aber es müssen auch nicht sogleich 700 m2 pro Hektare sein. Vielmehr sollte man im Umfeld von Amphibienweihern routinemässig Holzhaufen unterschiedlicher Grösse anlegen, denn jede Grösse wird genutzt.

Holz fällt bei der Pflege von Lebensräumen und Naturschutzgebieten sowieso an. Anstatt dieses wegzuführen, kann man es zu Haufen aufschichten – Kleinstrukturen, wie sie der SVS/BirdLife Schweiz für Feld, Wald und Garten sowieso empfiehlt.

Holzhaufen für Amphibien benötigen keine spezielle Pflege. Am Tagliamento pflegt schliesslich auch niemand die Schwemmholzhaufen; sie entstehen durch Hochwasser und werden durch Hochwasser auch wieder weggeschwemmt. In  Naturschutzgebieten lassen sich Holzhaufen also einfach anlegen und bei Bedarf wieder entfernen. Anlage und allfällige Entfernung können im Rhythmus der anstehenden Gehölzpflege erfolgen.

 

Dr. Benedikt R. Schmidt ist Projektleiter bei der Koordinationsstelle Amphibien- und Reptilienschutz Schweiz karch;

Dr. Lukas Indermaur ist beim WWF Schweiz Leiter des Projekts «Lebendiger Alpenrhein».

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