Hier bloss nicht landen

Tod an Freileitungen. Tausende Vögel sterben jedes Jahr an Freileitungsmasten durch Stromschlag. BirdLife Schweiz fordert deshalb schon lange die Sanierung aller gefährlichen Masten – zumal dies technisch einfach ist. Doch nun steht im Rahmen einer Verordnungsrevision der Vorschlag im Raum, dass nur noch Masten in einigen «vogelsensiblen» Regionen entschärft werden sollen. BirdLife Schweiz wehrt sich gegen die «brenzlige» Idee.


Wenn nur alle Naturschutzprobleme so einfach lösbar wären wie der Tod von Vögeln an gefährlichen Strommasten. Das Problem ist bekannt, es gibt Lösungen, die Kosten sind überschaubar – und der Erfolg ist garantiert. Dennoch geht es mit der Sanierung von gefährlichen Masten nicht vorwärts. Bei den meisten Elektrizitätsversorgern hat das Problem offensichtlich keine Dringlichkeit, beim Bund auch nicht. Und nun droht sogar ein markanter Rückschritt.

Seit Jahrzehnten ist bekannt, dass einige Masttypen von bestehenden Mittelspannungsleitungen für Vögel sehr gefährlich sind, da sie falsch konstruiert sind. Stromschlag kann auf zwei Arten entstehen. Wenn ein Vogel beim An- oder Abflug zwei stromführende Kabel gleichzeitig berührt, kommt es zu einem Kurzschluss, und der Vogel erleidet einen tödlichen elektrischen Schlag. Das Gleiche trifft ein, wenn ein Vogel auf einem Masten sitzt, mit den Flügeln einen Stromleiter berührt und so einen Erdschluss auslöst.

 Ein ganz anderes Problem sind Kollisionen mit den Kabeln, von Nieder- über Mittel- bis Hochspannung. Für Vögel im Flug sind die Leitungen oft nicht rechtzeitig sichtbar, vor allem bei Nebel und in der Nacht. Für die Schweiz gibt es dazu keine Zahlen. Für Deutschland schätzt der BirdLife-Partner Nabu, dass jährlich 1,5 bis 2,8 Millionen Vögel durch Kollisionen an Freileitungen zu Tode kommen. Es ist deshalb nötig, dies bei der Planung der Linienführung von neuen Leitungen zu berücksichtigen. Noch besser ist es, wenn die Leitungen in den Boden verlegt werden.
Wo Strom noch über Freileitungen transportiert wird, lassen sich Kollisionen nicht ganz vermeiden. Ganz im Gegensatz zum Stromschlag: Es ist einfach, neue Masten so zu bauen, dass sie für Vögel ungefährlich sind. Doch nicht einmal das geschieht immer. Als die SBB die Neubaustrecke Mattstetten-Rothrist erstellten, wurden Masten mit grosser Stromschlaggefahr errichtet. Immerhin haben die Verantwortlichen sofort gehandelt und auf jedem der mehreren hundert Masten bewährte Plastikabdeckungen anbringen lassen. Diese sind vom Zug aus gut zu sehen. 

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Besonders viele Unfälle geschehen bei Masten mit Stützisolatoren und Leitern oberhalb des Querbalkens. © pixabay.org


Einfache Massnahmen


Bereits bestehende gefährliche Mittelspannungsmasten lassen sich gut sanieren: Die erwähnte Abdeckung ist eine Möglichkeit, die Verlängerung der oft zu kurzen Isolatoren eine andere. Für die meisten Vögel sind Masten dann sicher, wenn die Leiter mindestens 140 cm voneinander entfernt sind, und wenn sie mindestens 60 cm von möglichen Sitzplätzen für Vögel entfernt geführt werden. Nicht geeignet sind hingegen die früher eingesetzten Abwehrbüschel.

BirdLife Schweiz war zusammen mit der Vogelwarte Sempach und dem Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE) bereits in den 1990er-Jahren an einer Wegleitung zur Sanierung der Masten beteiligt. 2008 erschien die zweite Auflage, als gemeinsame Publikation des VSE, der Bundesämter für Energie, Umwelt und Verkehr, des Starkstrominspektorats, der SBB, der Vogelwarte, der Uni Bern und von BirdLife Schweiz. Sie ist noch immer sehr aktuell.

Dass weitere Sanierungen nötig sind, zeigen einige Zahlen: Von den tot aufgefundenen Störchen, die in der Schweiz beringt worden waren, wurde gemäss einer Analyse der Vogelwarte bei 39 Prozent Stromschlag als Todesursache angegeben, bei weiteren 7 Prozent Kollision. Ein stark durch Stromschlag gefährdeter Vogel ist auch der Uhu: In der Schweiz kam gemäss Untersuchungen der Uni Bern von 228 in der Schweiz tot aufgefundenen Uhus rund ein Drittel durch Stromschlag ums Leben. Das Problem besteht vor allem bei Mittelspannungsleitungen. Hochspannungsleitungen hingegen sind meist sicher, denn die Abstände zwischen den möglichen Sitzplätzen für Vögel und den leitenden Teilen sind aus technischen Gründen genügend gross. 

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Die Massnahmen zur Entschärfung der Masten sind bekannt. So können zum Beispiel die Abstände zwischen den stromführenden Teilen und den Sitzgelegenheiten vergrössert werden. © Aus «Vogelschutz an Starkstrom-Freileitungen»


Gefährliche Masten bleiben unsaniert


Man könnte nun annehmen, dass sicher bald der letzte gefährliche Mast saniert sei. Das Gegenteil ist der Fall. Das Starkstrom-Inspektorat und das Bundesamt für Umwelt (Bafu) verlangen Sanierungen der einzelnen Masten erst, wenn ein toter Vogel gefunden und der Vorfall im Detail dokumentiert ist. Das widerspricht aus Sicht von BirdLife Schweiz den rechtlichen Grundlagen, insbesondere der Leitungsverordnung. Wörtlich heisst es: «Sofern es die örtlichen Gegebenheiten erfordern, sind auf den Tragwerken Vorkehrungen zu treffen, damit Vögel möglichst keine Erd- und Kurzschlüsse einleiten können.» Diese Bestimmung gilt nicht nur für neue Leitungen, sondern auch für bestehende, wenn sie für die Umwelt eine drohende Gefahr darstellen. Falsch konstruierte Masten sind unbestreitbar eine drohende Gefahr für die Umwelt. Es braucht dafür nicht erst konkrete Opfer. Was mit den «örtlichen Gegebenheiten» gemeint ist, ist unklar – BirdLife Schweiz verlangt, dass alle neuen Masten richtig gebaut und alle bestehenden gefährlichen Masten saniert werden.

Eine «brenzlige» Idee


Doch statt dass man nun im Rahmen der laufenden Verordnungsrevision den Wortlaut verbessert, ist das Gegenteil der Fall: Neu sollen neue Masten nur noch in «vogelsensiblen Gebieten» sicher sein müssen. In den Erläuterungen zur Verordnungsänderung steht in umständlichem Deutsch: «Unter dem neuen Begriff ‚vogelsensible Gebiete’ sind Gebiete zu verstehen, die sich aufgrund des Vorkommens bestimmter Vogelarten für diese als riskant erweisen.»

Ein Gebiet, das für Vögel riskant ist? BirdLife Schweiz ist immer noch der Meinung, dass die falsch konstruierten Masten das Risiko sind und dass dieses Problem umgehend flächendeckend zu beheben ist. Es war aus Sicht von BirdLife Schweiz nie die Idee der Verordnung, dass die gefährlichen Masten nur in «prioritären Regionen» oder «vogelsensiblen Gebieten» zu sanieren wären. Allenfalls könnte man in prioritären Gebieten die Massnahmen zeitlich vorziehen.

BirdLife Schweiz hat sich nun klar dagegen ausgesprochen, dass diese Änderung so in die Verordnung übernommen wird. Denn gerade beim Weissstorch ist nicht vorhersagbar, wo die Vögel durchziehen. Das zeigte diesen Herbst der Besuch eines Trupps von 324 Weissstörchen in der Magadinoebene – ein Ereignis, wie es vorher noch nie aufgetreten war. Auch der Uhu wird derzeit häufiger und lässt sich in seiner Ausbreitung nicht auf «vogelsensible Gebiete» beschränken.

Einmal mehr zeigt sich: Nicht einmal ein einfaches, klar umgrenztes Naturschutzproblem lässt sich in diesem Land noch lösen. 

Werner Müller ist der Geschäftsführer von BirdLife Schweiz.

Weitere Informationen finden Sie in der Publikation «Vogelschutz an Starkstrom-Freileitungen». Download unter www.birdlife.ch/freileitungen.
  

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