Mehr als andere Arten verkörpert die Rauchschwalbe den Vogelzug – sie ist die Frühlingsbotin schlechthin. Ist sie zurück, ist der Winter definitiv zu Ende. Doch wo und wie verbringen die Rauchschwalben den Winter?
Die Antworten auf diese Fragen lagen bisher weitgehend im Dunkeln. Und dies, obwohl die Rauchschwalbe zu den Vogelarten gehört, die am häufigsten beringt wurden und am besten untersucht sind. Aber von den über 200 000 Rauchschwalben, die seit 1924 in der Schweiz einen Ring erhielten – dem Jahr der ersten Beringung in unserem Land –, wurden nur gerade 23 in Afrika wieder gefangen. Somit waren bisher weder die Winteraufenthaltsorte noch die Details zum Zugablauf bekannt.
Dies änderte sich mit einem Forschungsprojekt, das die Schweizerische Vogelwarte Sempach von 2009 bis 2012 mit Unterstützung der Stiftung Bolle di Magadino, der piemontesischen Pärke des Lago Maggiore und der Universität Mailand in den Bolle di Magadino TI durchführte. Dank der hilfreichen «Mitarbeit» der Tessiner Schwalben gelang es, einen Teil der Geheimnisse zu lüften. Dafür setzten die Wissenschafter die leichten Geodatenlogger ein, welche die Vogelwarte 2009 entwickelt hatte (siehe Seiten 6-11). Hunderte von erwachsenen, brütenden Rauchschwalben wurden mit den winzigen Geräten ausgestattet, bevor sie nach Afrika flogen.
Um an die Daten der Geodatenlogger zu gelangen, müssen die Schwalben ein zweites Mal gefangen werden, wenn sie im darauf folgenden Frühling aus Afrika zurückkehren. Die Rauchschwalbe eignet sich gut für eine solche Studie, da ihre Brutortstreue praktisch hundertprozentig ist. Jahr für Jahr kehren die adulten Tiere, falls sie den Zug und den Winter in Afrika überleben, zum Brüten auf den gleichen Bauernhof zurück, oft sogar ins gleiche Nest. Und jeden Frühling warteten die Projektbeteiligten ungeduldig auf die Rückkehr der Schwalben.
Das Projekt darf als sehr erfolgreich bezeichnet werden: Dank der gesammelten Daten wissen wir nun, wo die Schwalben den Winter verbringen. Noch sind längst nicht alle Daten ausgewertet. Die Forscher werden sie in den nächsten Monaten genauer analysieren und sicher noch viel Neues und Spannendes entdecken.
Afrika – aber wo genau?
Wie eine Vorstudie der Schweizerischen Vogelwarte Sempach zeigte, verbringen praktisch alle Rauchschwalben den Winter in der Nähe des Golfs von Guinea. Die meisten Vögel verweilen in Nigeria, der Zentralafrikanischen Republik, in Kamerun, Gabun und im Kongo. Wenige Individuen fliegen in weiter westlich gelegene Länder wie die Elfenbeinküste, nach Ghana oder Mali. Die meisten Schwalben legen also auf jedem Zugweg mindestens 5000 bis 5500 Kilometer zurück. Nur wenige wechseln ihren Standort; die meisten verbringen den Winter an einem einzigen Ort.
Die meisten «unserer» Rauchschwalben überwintern in Nigeria. Und viele von ihnen verbringen die Winternächte am grossen Rauchschwalbenschlafplatz beim Dorf Ebbaken, das inzwischen den Beinamen «Swallow City» erhalten hat. © Chiara Scandolara
Die Daten der Geodatenlogger geben aber auch Hinweise, wie der Zug abgelaufen ist. Mit einer täglich zurückgelegten Strecke von durchschnittlich 200 Kilometern können die Schwalben 25 bis 30 Tage nach ihrem Abflug in Afrika schon im Tessin eintreffen. Im Frühling kommen die Männchen meistens mindestens 5 bis 10 Tage vor den Weibchen an. Mehrere der mit Geodatenloggern ausgestatteten Rauchschwalben überwinterten in Nigeria. Die gesammelten Daten bestätigen, dass dieses Land für Schwalben besonders wichtig ist. 1995 hatte der britische Ornithologe John Ash zusammen mit vier Kollegen im kleinen, abgelegenen Dorf Ebbaken in der Region Cross River nahe der Grenze zu Kamerun im Osten Nigerias einen riesigen Schwalbenschlafplatz entdeckt. Wie einige der wenigen Wiederfänge von beringten Schweizer Rauchschwalben zeigen, verbringen auch unsere Schwalben genau hier den Winter.
Diese Rauchschwalbe ist bereit für den Abflug in Richtung Süden. Am Rücken ist der Lichtsensor des Geodatenloggers erkennbar. © Chiara Scandolara
Die Vogelforscher erzählten, dass der Himmel vor lauter Schwalben jeweils dunkel wurde, als die Vögel am Abend einflogen. Es war praktisch unmöglich, ihre Zahl zu schätzen, doch es muss sich um Millionen gehandelt haben. Diese Millionen von Schwalben versammelten sich jeweils abends auf einem kleinen Hügel, um dort zu übernachten. Die Strasse in Ebbaken war komplett mit Vogelfedern übersät. Der Grund: In jenen Jahren verzehrten die etwa 500 Dorfbewohner während des Winters bis zu 300 000 Schwalben; die Vögel stellten eine der raren Proteinquellen dar. Die Dorfchefs hatten sich Ketten mit den Ringen der toten Schwalben umgehängt. Die britischen Ornithologen kauften eine solche Kette – und erhielten so die ersten wiedergefundenen Ringe aus der Region. Nach der Entdeckung des Schlafplatzes erhielt Ebbaken den Beinamen «Swallow City», Schwalbenstadt.
Die Einwohnerinnen und Einwohner von Ebbaken sind stolz, dass sich bei ihnen täglich zwei Millionen Rauchschwalben zum Übernachten versammeln.
Der Hügel bei Ebbaken mit dem Rauchschwalben-Schlafplatz wurde inzwischen unter Schutz gestellt.
Im Tessin engagieren sich Bauern und Bäuerinnen wie Renata Ponzio intensiv für den Schutz der Rauchschwalbe im Brutgebiet.
© Chiara Scandolara
Während der letzten 20 Jahre hat sich die Situation stark gebessert; der Hügel mit dem Schlafplatz wurde inzwischen unter Schutz gestellt. Gemäss Recherchen des italienischen Ornithologen Pierfrancesco Micheloni, der die Schwalben in Nigeria seit 15 Jahren untersucht, ist die Zahl der hier übernachtenden Vögel in den letzten Wintern trotzdem stark gesunken. Dieser Rückgang hat stattgefunden, obwohl die dort lebenden Menschen dank dem grossen Engagement von Micheloni und verschiedenen Schutzorganisationen inzwischen praktisch keine Vögel mehr essen. Als alternative Proteinquelle dient ihnen unter anderem eingeführter gefrorener Fisch. Zwischen Oktober und März importierte Ebbaken fünf Tonnen Fisch, wie eine Studie 2001 zeigte; 1995 waren noch 3,4 Tonnen Schwalben verzehrt worden. Eine Schwierigkeit besteht weiterhin: Auch wenn Fisch günstig angeboten wird – die Schwalben waren kostenlos. Ein einzelner Junge konnte pro Nacht bis zu 1000 Schwalben erlegen, die sich auf dem Markt für umgerechnet 80 Euro verkaufen liessen – willkommenes Geld, das für die Schule und die medizinische Versorgung eingesetzt wurde.
Auf Expedition in Nigeria
Dank der wertvollen Mitarbeit von Pierfrancesco Micheloni konnten die Vogelwarte Sempach und die Universität Mailand im Februar 2012 eine Expedition organisieren, an der ich teilnehmen durfte. Sie führte auch nach Nigeria. Dabei sammelten wir neue Daten über die Schwalben im Winter, zum Beispiel zur Mauser, die bei den Schwalben jeweils im Winterquartier stattfindet.
Es wurde eine abenteuerliche Exkursion. Nach einer einwöchigen Reise kamen wir zu sechst im Dörfchen Ebbaken an. Die kleinsten Kinder, die noch nie einen weissen Menschen gesehen hatten, brachen vor Schreck in Tränen aus. Dann aber wurden sie neugierig und freuten sich über die mitgebrachten kleinen Geschenke. Wir waren wohl die einzigen Touristen während des ganzen Jahres. Um eine Erlaubnis zu erhalten, mit den Schwalben zu arbeiten, verhandelten wir mit den Dorfbewohnern. Zu unserer Verwunderung erhielten wir nach der Bezahlung eine Quittung mit dem Stempel «Schwalbentouristen». Offenbar hat man den Schwalbentourismus bereits professionalisiert und erachtet ihn als wichtige Einkommensquelle.
Wie wir beobachteten, verbringen die Schwalben die Nacht im bis zu fünf Meter hohen Elefantengras (Pennisetum purpureum) auf den steilen Hängen, die das kleine Dorf umgeben. Dieses Gras ähnelt etwas unserem einheimischen Schilf in den Feuchtgebieten. Die Schwalbendichte kann bis zu 80 Individuen pro Quadratmeter betragen! Erstaunlicherweise hält sich tagsüber keine einzige von ihnen in der Nähe von Ebbaken auf. Vielmehr verteilen sich die Schwalben für die Nahrungssuche auf einem Radius von 50 bis 60 Kilometern über den Bäumen der Wälder und kommen erst bei Einbruch der Dunkelheit zurück. Die hohen Temperaturen und der Regen führen hier zu grossen Beständen von Termiten und anderen Insekten, von denen sie sich ernähren.
Während den Arbeitstagen im Wald beringten wir fast 3000 Schwalben und machten zahlreiche Wiederfänge aus verschiedenen Ländern Europas – ein weiterer Hinweis für die Wichtigkeit dieses Platzes für die europäischen Schwalben.
Schutz im Winter- und im Brutgebiet nötig
Die Kenntnis der Rastplätze und Überwinterungsorte ist eine wichtige Voraussetzung, um die Lebensbedingungen der Zugvögel während der Wintermonate zu verbessern. Genauso wichtig ist es aber, die Zugvögel auch an ihren Brutorten zu schützen. Im Tessin ist die Bereitschaft dazu gross. Viele Bauernfamilien passen besonders gut auf, dass die Fenster der Gebäude mit Nestern immer offen bleiben. Um die Mauern vor Verschmutzung durch Vogelkot zu schützen, haben sie unter den Nestern Bretter angebracht.
Unsere Rauchschwalbenstudie war denn auch nur dank der guten Zusammenarbeit mit Privateigentümern sowie mit über 50 Landwirten mit Höfen und Ställen möglich. Sie kümmerten sich Jahr für Jahr liebevoll um ihre wertvollen Gäste und erlaubten es uns Wissenschaftern, das Leben ihrer Schützlinge zu erforschen.
Jahr für Jahr kehren die Rauchschwalben zum Brüten auf den gleichen Bauernhof, oft sogar ins gleiche Nest zurück. Die Besitzer der Höfe und Ställe in der Magadinoebene kümmern sich liebevoll um ihre Gäste und haben so die umfassende Studie über die Rauchschwalbe überhaupt erst ermöglicht. © Chiara Scandolara
In den nächsten Jahren hoffen wir, mit dem geplanten Park in der Magadinoebene gewisse Ansprüche der Rauchschwalbe und anderer prioritärer Arten für die Artenförderung in die Grundsätze der Raumplanung integrieren zu können. Für die Schwalbe wäre es zum Beispiel entscheidend, in einem Umkreis von weniger als 300 Metern um den Neststandort insektenreiche Wiesen vorzufinden. Massnahmen für die Schwalben können sich auch auf andere Arten wie Steinkauz, Wiedehopf, Gartenrotschwanz und Wendehals positiv auswirken, wie die Artenförderungsprojekte von Schweizer Vogelschutz SVS/BirdLife Schweiz und Vogelwarte Sempach zeigen.
Mit den Studien, die wir im Rahmen dieses Forschungsprojekts am Brutplatz, im Winterquartier und auf dem Zug durchgeführt haben, hoffen wir, einen wichtigen Beitrag für den Schutz der Rauchschwalbe leisten zu können.
Die Rauchschwalben wurden im Tessin mit Ring, Farbtupfer und Geodatenloggern ausgestattet. So erhielten die Forscher ein Maximum an Informationen über das Verhalten der Vögel im Brutgebiet, auf dem Zug und im Überwinterungsgebiet. © Chiara Scandolara
Chiara Scandolara ist Biologin. Im Rahmen ihrer Dissertation an der Vogelwarte Sempach und der Universität Mailand untersucht sie das Zugverhalten, die Ausbreitung der Jungvögel und den Schutz der Rauchschwalbe im Tessin. Zudem engagiert sie sich im Rahmen des Artenförderungsprogramms beim Schweizer Vogelschutz SVS/BirdLife Schweiz für prioritäre Vogelarten.
Die Autorin dankt allen Landwirten und Privatpersonen, die den Wissenschaftern seit 2009 ermöglichen, die Rauchschwalbe auf ihren Grundstücken zu erforschen. Ebenso dankt sie den vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die sie all diese Jahre unterstützt haben, und Pietro Teichert für die Durchsicht des Artikels.
Originalartikel französisch; Übersetzung Dr. Eva Inderwildi
Flugziel «Swallow City»