Differenzierte Pflegepläne

Pflege von Schutzgebieten. In Schutzgebieten soll die Pflege nicht länger nach Schema F erfolgen, sondern spezifisch auf Zielarten und seltene Lebensräume abgestimmt sein. Das Beispiel Frauenwinkel SZ zeigt, dass für eine differenzierte Bewirtschaftung ein umfassendes Inventar der vorhandenen Arten sowie unablässige Kommunikation unter den Beteiligten nötig sind.


Im Herbst und Winter wird in zahlreichen Riedflächen gemäht, entbuscht, Gräben werden nachgezogen oder Tümpel ausgehoben. Dass Pflegeeingriffe in Riedgebieten notwendig sind, ist unbestritten, da diese sonst verwalden würden; jede Schutzverordnung enthält entsprechende Hinweise. Doch die Pflege kann auch negative Auswirkungen haben, wenn sie zu schematisch erfolgt. In vielen Feuchtgebieten gilt ein erster Schnitttermin zwischen Ende August und Mitte September. Bei schönem Wetter steht drei Tage später im ganzen Ried kein Halm mehr. Gräben werden immer tiefer mit senkrechten Wänden ausgehoben, in vielen Rieden wird der Verbuschung zu wenig Beachtung geschenkt.

In fast allen Schutzgebieten ist zudem die Pflege nicht auf die vorhandenen Arten abgestimmt. Doch das ist auch gar nicht so einfach. Welche Arten und Lebensräume sind wo zu finden in einem Riedgebiet? Von fast allen grossen Feuchtgebieten der Schweiz weiss man zwar, dass sie Röhrichte, Klein- und Grossseggenriede oder Pfeifengraswiesen enthalten, oftmals ist auch eine Kartierung der Vogelarten vorhanden. Aber in vielen Kantonen fehlen Inventare von weiteren Artengruppen – oder sie sind hoffnungslos veraltet. 

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Beim Entbuschen einzelner Gräben wurden flachere Grabenwände angelegt. Die offenen Gräben sind für Wasserpflanzen, Libellen und Amphibien interessant. © SVS


Grundlagen entscheidend


Am Beispiel des Naturschutzgebiets Frauenwinkel am Oberen Zürichsee SZ lässt sich zeigen, wie eine differenzierte, auf Arten und Lebensräume abgestimmte Pflegeplanung aussehen kann. 2002 wurde im Frauenwinkel eine neue Schutzverordnung verabschiedet, und die Stiftung Frauenwinkel mit Ala, SVS/BirdLife Schweiz und weiteren nahm ihre Arbeit auf. Bald stellte sich die Frage nach den Zielsetzungen für die Optimierung der Pflege. Die Fachstelle Naturschutz des Kantons Schwyz, die Stiftung und die beteiligten Landwirte waren sich diesbezüglich nicht immer einig. So entschloss sich die Stiftung Frauenwinkel dazu, die notwendigen Grundlagen erarbeiten zu lassen.

Für folgende Artengruppen wurden Inventare aufgenommen: Vögel (Brutvögel, Zugvögel und Wintergäste), seltene Pflanzenarten (unter anderen Orchideen, Lungenenzian, seltene Riedarten), Schmetterlinge und Libellen. Für Amphibien und Reptilien gab es nur wenige Standorte im Frauenwinkel, die bekannt waren. Ebenso kartiert wurden die invasiven Neophyten im Gebiet und die Nährstoffeinflüsse aufgrund von Zeigerpflanzen.

Für diverse Fischarten ist der Frauenwinkel der einzige grosse, natürliche Laichplatz am Zürichsee. Leider konnte die Fischerei bis heute nicht dazu bewogen werden, Daten und Auskünfte dazu zu liefern. Bekannt ist, dass der Seedamm ein guter Laichplatz für Sandfelchen ist. Im Zusammenhang mit Erosionsschutzmassnahmen wurde auch die Unterwasservegetation im angrenzenden See aufgenommen. Aus diesem Sortiment an Arten galt es nun, die Zielarten zu bezeichnen und allfällige Zielkonflikte zu bereinigen.

Zuerst wurde geprüft, ob es Arten der Roten Liste und der National Prioritären Arten gibt. Zusätzlich wurden Arten evaluiert, für die der Frauenwinkel bereits heute ein Hotspot ist oder für welche mit den entsprechenden Aufwertungen ein gros­ses Potenzial vorhanden wäre. Entscheidend für deren Auswahl war auch ein Blick auf die in der Region vorkommenden Arten und die Möglichkeit, diese mit den bestehenden Populationen im Frauenwinkel zu vernetzen.

Von den Zielarten zu den Pflegeplänen


Bei den Vögeln kristallisierten sich drei Lebensraumtypen mit Zielarten heraus: mit 2 bis 3 Paar Zwergdommeln und 12 bis 13 Paar Drosselrohrsängern haben die echten Röhrichte eine grosse Bedeutung. Die stark bedrohten Brachvögel und die Kiebitze schätzen dafür die offenen Kleinseggenriede und Übergangsmoore. Rohrammer und Sumpf­rohrsänger sind in den Flächen mit Hochstauden, kleinen Büschen und Schilf anzutreffen. Für Zugvögel wie die Limikolen wäre das Potenzial vorhanden, es fehlten aber die notwendigen Flachwasserzonen. Die Wintergäste sind weitgehend durch die Seeuferschutzzonen geschützt.

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Dank der Schaffung von Feuchtflächen mit Pioniercharakter konnten sowohl die Artenzahlen der Libellen als auch der rastenden Limikolen deutlich gesteigert werden. © SVS


Die Kartierung der Pflanzenarten ergab unter anderem erfreuliche Bestände der Sommer-Wendelähre und des Lungenenzians. Bei den Schmetterlingen bilden die Riedflächen am oberen Zürichsee einen mitteleuropäischen Verbreitungsschwerpunkt an Feuchtgebietsarten wie dem Hellen Wiesenknopf-Ameisenbläuling, dem Lungenenzian-Ameisenbläuling (auch Grosser bzw. Kleiner Moorbläuling genannt), Skabiosenscheckenfalter und Violetten Silberfalter. Bedenklich war, dass im angrenzenden Wiesland die gewöhnlichen Arten fast vollständig fehlten. Die Schilfbestände waren wegen der Erosion und der starken Verbuschung sowie wegen der schattenwerfenden Pappelallee am Seeufer stark lückig.

Ausser dem Wasserfrosch gab es keine anderen Amphibien im Frauenwinkel. Auch nach der Schaffung von Teichen wanderten wegen der starken Überbauung im Umfeld keine neuen Arten ein. Die Zauneidechse an den Bahndämmen und die Ringelnatter in den Riedflächen sind Zielarten bei den Reptilien. Bei den Libellen konnten bei den ersten Aufnahmen relativ wenig Arten nachgewiesen werden, da kaum offene Gewässer neben dem See vorhanden waren. Zahlreiche Parzellen waren mit invasiven Neophyten wie Goldrute und Japanknöterich befallen.

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Die verschiedenen Farben zeigen, dass sich aufgrund der Zielarten verschiedene Schnittzeitpunkte ergeben. Diese müssen so kombiniert werden, dass sich für die Bewirtschafter ein sinnvoller Ablauf ergibt. © oekoskop, Basel


Die räumliche Ausscheidung der Zielarten ergab wenig Zielkonflikte, da sich die entsprechenden Lebensräume kaum überschnitten. Die grössten Probleme stellten sich bei der Bekämpfung der invasiven Neophyten. Brutvögel dürfen nicht gestört werden und Parzellen mit dem Hellen Wiesenknopf-Ameisenbläuling sollten nicht bereits im Juni vollständig geschnitten werden. Pro Zielart wurden Pflegehinweise und Aufwertungsmassnahmen festgelegt. Die wichtigsten Massnahmen sind die Differenzierung des Schnitttermins, von frühen Schnitten im Juni bis zu Terminen im Oktober, oder zweimaligen Schnitten alle vier Jahre zur Ausmagerung von Parzellen. Weitere Massnahmen sind das Stehenlassen von Flächen über den Winter, Entbuschungen, die Schaffung neuer Wasserflächen im Ried, ein optimierter Grabenunterhalt, die Extensivierung der Umgebungsnutzung beziehungsweise die Umsetzung der Pufferzonen. 

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Der Helle Wiesenknopf-Ameisenbläuling, auch Grosser Moorbläuling genannt, ist eine Zielart im Frauenwinkel. © SVS


Ziel des differenzierten Pflegeplans war es nun, aus all diesen Informationen für jede Parzelle sinnvolle Pflegeanweisungen zu machen. Hierzu entwickelte Emanuel Jenny von der oekoskop eine Tabelle mit folgendem Inhalt pro Parzelle: vorkommende Zielarten, Massnahmen, Beiträge an die Landwirtschaft, Bewirtschafter. Diese Dokumentation liefert für den Kanton, die Landwirte und die Stiftung Frauenwinkel die nötigen Angaben für die Bewirtschaftung, für die Erarbeitung der Bewirtschaftungsverträge und für eine zukünftige Erfolgskontrolle. Neben der Tabelle gibt es Pläne zu den verschiedenen Artengruppen, zu den Konflikten und zu den Aufwertungsmassnahmen. 

Miteinander reden


Der Frauenwinkel wird von über 40 privaten Bewirtschaftern gepflegt. Es gibt rund 60 Grundbesitzer. Bis anhin war die einzige Auflage für die Bewirtschaftung ein Schnitttermin ab dem 1. September. Ein differenzierter Pflegeplan erfordert nun aber ein stärkeres Mitdenken der Bewirtschafter und Grundeigentümer. Es ist wichtig, dass sie verstehen, aus welchen Gründen welche Massnahme zugunsten einer Art ausgeführt werden soll. Auf einem Rundgang mit den Landwirten erläuterte darum die Stiftung Frauenwinkel bereits nach den ersten Inventaren die wichtigsten Resultate und Massnahmen zu den absehbaren Zielarten. Für rund 12 Arten wurden sogenannte «Produkteblätter» erstellt. Ein Produkteblatt enthält eine grosse Abbildung der Art, die wichtigsten Hinweise zu ihrer Biologie und daraus abgeleitet die relevanten Pflegemassnahmen in Kurzform. 

Der Kanton kommunizierte den fast fertigen differenzierten Pflegeplan inklusive Tabelle allen Bewirtschaftern und Grundeigentümern per Brief und stellte ihn an einer Abendveranstaltung den interessierten Personen vor. Im nachfolgenden Frühling fand mit allen Bewirtschaftern und den interessierten Grundeigentümern eine Begehung vor Ort auf ihrer Parzelle statt. Dabei diskutierte man die Massnahmen und suchte zweckmässige Lösungen bei kleinen Parzellen oder bei mehreren Parzellen mit verschiedenen Schnittzeitpunkten, aber dem gleichen Bewirtschafter. Sinnvolle Anregungen der Bewirtschafter wurden aufgenommen.

Obwohl der Frauenwinkel ein Flachmoor von nationaler Bedeutung ist, bestand der Kanton in einem ersten Schritt auf der Freiwilligkeit der Massnahmen. Erfreulicherweise machten aber über 40 Prozent der Bewirtschafter mit. Ein solches Konzept kann nur mit weiteren Informationsveranstaltungen, Erfolgskontrollen und letztlich, bei besonders wertvollen Parzellen, auch mit dem nötigen Druck von Seiten des Kantons umgesetzt werden. Wichtig ist eine ständige Kommunikation unter allen beteiligten Personen.

Bereits zeigen erste Resultate, dass mit den Massnahmen deutliche Verbesserungen zugunsten verschiedener Arten erreicht werden konnten. So schnellten aufgrund der neu geschaffenen Flachgewässer die Artenzahlen bei den Libellen in die Höhe, Kiebitze brüteten wieder in den entbuschten Flächen, Goldrutenflächen wurden massiv reduziert. Der grösste Teil der Lungenenzianwiesen wird erst im Oktober geschnitten. Wichtig ist, dass ein differenzierter Pflegeplan kein starres System über Jahrzehnte hinaus ist, sondern vielmehr eine rollende Planung. Aufgrund der Erfolgskontrollen werden neue Erkenntnisse bezüglich Pflege aufgenommen, auf neue Arten wird flexibel reagiert. 

 

Christa Glauser ist stellvertretende Ge­schäfts­führerin des SVS/BirdLife Schweiz und Präsidentin der Stiftung Frauenwinkel.

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