Die Bevölkerung liebt die Natur – verkennt aber die Bedrohung

Eine repräsentative Umfrage zeigt: Die Bevölkerung der Schweiz liebt die Natur offensichtlich sehr. Warum schützen also Politik, Wirtschaft und Gesellschaft unsere schöne Schweizer Natur nicht besser?


Raffael Ayé

08.12.2025, Ornis 6/25

Zwei Forscherinnen der ZHAW führten im Rahmen des Forschungsprojekts ValPar.CH im Auftrag des Bundesamts für Umwelt (BAFU) eine schweizweite, repräsentative Umfrage zur Wahrnehmung der Biodiversität in der Bevölkerung durch. Für sagenhafte 97 % der Befragten ist ein guter Zustand der Biodiversität sehr wichtig oder eher wichtig. Nur gerade für 3 % der Bevölkerung ist die Biodiversität eher nicht wichtig. Die Bevölkerung der Schweiz liebt die Natur offensichtlich sehr. Aber warum tun wir dann alle zusammen nicht mehr für die Biodiversität? Warum schützen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft unsere schöne Schweizer Natur nicht besser? Kann das überhaupt sein? Sind die Aussagen in der Umfrage vielleicht nur Lippenbekenntnisse?

BirdLife kann aus täglicher Erfahrung sagen, dass die Natur in der Bevölkerung sehr beliebt ist. Viele ornithologische oder botanische Kurse sind innert kurzer Zeit ausgebucht, Menschen aller Altersgruppen lassen sich beim Besuch eines BirdLife-Naturzentrums begeistern, suchen Erholung in der Natur oder engagieren sich tatkräftig und ehrenamtlich. Damit können wir zwar keine quantitativen Aussagen machen, aber den allgemeinen Befund kann BirdLife bestätigen: Die Natur ist bei der Bevölkerung sehr beliebt!

Der Grund für den ungenügenden Einsatz zugunsten der Natur liegt woanders. Und auch hier liefert die Umfrage im Rahmen von ValPar.CH konkrete Hinweise: Die Befragten schätzten den Rückgang der Biodiversität in der Schweiz nämlich als weniger gravierend ein als europa- oder weltweit. Ornis-Lesende wissen jedoch: Das Gegenteil ist der Fall. In der Schweiz ist die Biodiversität deutlich stärker gefährdet als in unseren Nachbarländern (siehe Grafik). Die Schweiz hat zusammen mit Bos­nien-Herzegowina den geringsten Anteil an Schutzgebieten an der Landesfläche. Und die Schweiz gibt ein Vielfaches mehr für biodiversitäts­schädigende Subventionen aus als für den Erhalt und die Förderung ebendieser Biodiversität.

Politik und Bundesbehörden bis hin zu Bundesrat Albert Rösti tragen durch schönfärberische Kommunikation (siehe z. B. Ornis 3/24) leider zu dieser Verwirrung bei. Eigentlich haben Bund und Kantone einen klaren Gesetzesauftrag, die Öffentlichkeit über «die Bedeutung und den Zustand von Natur und Landschaft» zu informieren. Diesen Gesetzesauftrag erfüllt das UVEK heute nicht.

In der Schweiz ist die Biodiversität deutlich stärker gefährdet als in unseren Nachbarländern.

Helfen Sie der Bevölkerung und dem Bundesrat auf die Sprünge? Sprechen Sie mindestens fünf Personen aus Ihrem Bekanntenkreis und ausserhalb der Naturschutzkreise auf den schlechten Zustand der Natur in der Schweiz an! Zeigen Sie ihnen zum Beispiel die obenstehende Abbildung: In der Schweiz steht ein deutlich höherer Anteil an Arten auf der Roten Liste als in unseren Nachbarländern – gemäss international einheitlichen Kriterien. Seien Sie gefasst darauf, dass viele Ihrer Gesprächspartner diese Tatsache mit der höheren Bevölkerungsdichte erklären wollen und dabei verkennen, das Deutschland dichter besiedelt ist als die Schweiz. Seien Sie auch gefasst auf weitere Ausreden, wie etwa, dass die Schweiz ein sehr gebirgiges Land sei – obwohl in der Realität Gebirge gerade Hotspots der Biodiversität sind.

Tatsache ist: der schlechte Zustand der Biodiversität in der Schweiz hängt nur zu einem geringen Teil mit den genannten Faktoren zusammen, und viel stärker mit politischen Entscheiden und am Ende mit einer gewissen Schweizer Selbstgefälligkeit bei diesem Thema. Ich hoffe, Sie nehmen mir diese unangenehme Nachricht nicht übel, sondern helfen mit, möglichst viele weitere Personen ehrlich über den tatsächlichen Zustand der Natur zu informieren. 

 

Der Geschäftsführer Dr. Raffael Ayé fasst hier die Haltung von BirdLife Schweiz zu politischen Fragen zusammen.

Weitere Vergleiche zwischen der Schweiz und dem umliegenden Ausland:

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