Es ist ein heisser Julitag im Frauenwinkel SZ am Zürichsee. Eine kleine Gruppe Leute steht am Rand des Rieds, zwei Bauern, je ein Vertreter der Fachstelle Naturschutz des Kantons Schwyz und eines Ökobüros und die Vertreterin von Ala und Schweizer Vogelschutz SVS/BirdLife Schweiz in der Stiftung Frauenwinkel. Diskutiert wird über die Änderung der Bewirtschaftung der Parzellen der beiden Bauern. Auf Grund detaillierter Inventare von Vegetation, Libellen, Tagfaltern, Vögeln, Amphibien und Reptilien durch Biologen wurden Zielarten für die einzelnen Parzellen bestimmt. Auf der Parzelle des einen Bauern legt der Skabiosen-Scheckenfalter seine Eier auf dem Teufelsabbiss ab. Die Raupen überwintern in einem Gespinst am Boden. Deshalb werden zukünftig zehn bis zwanzig Prozent der Fläche über den Winter stehen gelassen. In der Parzelle des anderen Bauern brüten Kiebitze; dort soll für diesen Bodenbrüter die ganze Fläche ab Mitte September gemäht werden. Neu ist, dass mit dem differenzierten Pflegeplan für jede Parzelle eine Zielsetzung festgelegt wird. Diese ist zusammen mit weiteren Informationen in einer Tabelle zusammengestellt, die auch in die Verträge des Kantons Schwyz mit den Landwirten einfliessen. Somit gehen alle Beteiligten vom gleichen Wissensstand aus; die Erfolgskontrolle der Massnahmen hat eine gute Basis.
Damit die Raupen des Skabiosen-Scheckenfalters überwintern können, bleibt ein Teil der Vegetation im Herbst stehen. © Michel Poinsignon / naturepl.com
Für den Kiebitz hingegen wird die ganze Parzelle Mitte September gemäht. © Michael Gerber
Was eigentlich selbstverständlich sein sollte, ist in vielen Schutzgebieten noch nicht verwirklicht. Oftmals beschränkt sich die Pflege auf einen Schnitt der Streue Anfang September und ein gelegentliches, moderates Entbuschen.
Die Ala geht voraus
Obiges Beispiel ist typisch für die Reservatsarbeit der Ala in den letzten 100 Jahren. Die Ala suchte immer die enge Zusammenarbeit mit Bewirtschaftern, Grundeigentümern, Gemeinden und später mit den Fachstellen für Naturschutz der Kantone. Ebenso war sie der allgemeinen Schutzgebietsarbeit meist einen Schritt voraus.
Dies begann schon mit der Begründung von 42 Ala-Reservaten zwischen 1908 und 1939 durch private Verträge zum Schutz vor der Jagd. Die meisten dieser «Schonreviere» erhielten in den 1950er-Jahren, teilweise aber auch erst viel später, einen gesetzlichen Schutz. Darunter sind so bedeutende Gebiete wie das Fanel, die Weissenau und der Heideweg im Kanton Bern, der Lauerzersee und der Frauenwinkel im Kanton Schwyz sowie das Neeracherried, der Pfäffikersee und Teile des Greifensees im Kanton Zürich. Ohne das Eingreifen der Ala in dieser frühen Zeit würde wahrscheinlich keines dieser Gebiete in der heutigen Grösse existieren.
Zurzeit betreut die Ala noch 16 Gebiete in sieben Kantonen mit rund 2120 Hektaren, zumeist Moorflächen. Pro Reservat ist ein Betreuer oder ein Betreuerteam aktiv, oftmals jahrzehntelang. Die Betreuer kartieren regelmässig die Brutvögel, machen Vorschläge für die Pflege und legen auch selber Hand an. Sie erarbeiten Optimierungsvorschläge und engagieren sich bei der Erarbeitung neuer Schutzverordnungen und Schutzgebietskonzepte. In den meisten Gebieten üben sie auch Aufsichtsfunktionen aus.
Die Ala erstellte schon früh regelmässig Vegetationsaufnahmen wie hier im Boniswiler Ried am Hallwilersee AG. Die Aufnahmen dienen als wichtige Grundlage für die Pflegepläne. © 1976 + 1986 Ala, 2010 Bertil O. Krüsi
16 Gebiete betreut die Ala heute. Die Grösse der Punkte symbolisiert die Gebietsgrössen. © www.ala-schweiz.ch
Bereits ab den 1970er-Jahren konzentrierten sich die Aktivitäten der Ala aber nicht mehr nur auf die Vögel. Als erste Naturschutzorganisation überhaupt veranlasste sie 1976 die Kartierung der Pflanzengesellschaften in ihren Reservaten. Diese Aufnahmen wurden 1987 wiederholt und sind bis heute in vielen Gebieten die einzige Grundlage bezüglich Vegetation. Die Bestandsaufnahmen wurden im Lauf der Jahre auf verschiedenste Tiergruppen ausgeweitet und bilden die Basis für die differenzierten Pflegepläne, die unter anderem auf Zielarten ausgerichtet sind. Der neuste Pflegeplan ist am Heideweg BE in Umsetzung.
In einzelnen Reservaten erstellte die Ala Schutzgebietskonzepte, so zum Beispiel im Neeracherried, im Frauenwinkel oder im Heideweg. Als Leitlinie für alle Beteiligten erfüllen Schutzgebietskonzepte basierend auf Inventaren eine wertvolle Funktion und zwingen dazu, Ziele und Massnahmen genau durchzudenken und auf Zielkonflikte zu prüfen. Gut gestaltete Konzepte mit übersichtlichen Plänen sind ein wichtiges Hilfsmittel für die Vermittlung der Ziele an Bewirtschafter und Behörden. Die Konzepte zeigen Konflikte auf und umfassen neben den Pflege- auch Aufwertungsmassnahmen und Gedanken zu Besucherlenkung und Information.
Dank der langjährigen Betreuung werden in den einzelnen Reservaten auch aufwändigere Massnahmen verwirklicht wie das Kanal-Teichsystem im Fanel, der Flachteich im Neeracherried und als jüngstes Beispiel die Aufwertungen im Wengimoos. Gerade das Beispiel Wengimoos belegt, wie dank unermüdlicher Kleinarbeit der Betreuer über Jahre hinweg Parzellen extensiviert, Pufferzonen eingerichtet, Verbesserungen in der Bewirtschaftung erreicht und neue Gewässer angelegt werden können. Am Lauerzersee verbesserte der Ala-Betreuer durch jahrelanges stetiges Neuschaffen von Tümpeln und Pfützen den Lebensraum für die Amphibien und Libellen entscheidend. Am Rand des Boniswiler Riedes AG konnte eine neue Weiherlandschaft erstellt werden.
Drohende Verbuschung
Da nach dem zweiten Weltkrieg immer weniger Streue durch Landwirte gemäht wurde, nahm die Verbuschung in fast allen Gebieten überhand. Die einstmals grossen, offenen Riedflächen wurden zunehmend durch Buschgruppen und Baumreihen unterkammert und verloren damit die für Bodenbrüter so wichtige Offenheit der Gebiete. Busch- und Baumgruppen gediehen zudem meist an schlecht zu mähenden feuchten Stellen. Gerade diese Feuchtstellen wären aber für Vögel, Pflanzen, Libellen und Amphibien wichtige Lebensräume.
Bereits ab den 1960er-Jahren warnte die Ala vor zunehmender Verbuschung. Leider ist das Thema in einigen grossen Gebieten nach wie vor aktuell. Da mit Entbuschungen oftmals zu lange gewartet wird, werden die Massnahmen je länger desto aufwändiger. Die rigorosen Entbuschungsmassnahmen am Frauenwinkel bewirkten, dass sich wieder vermehrt typische Riedvogelarten wie die Rohrweihe oder der Kiebitz im Ried aufhielten und letzterer sogar wieder zu brüten anfing. Da auf der Fläche der ehemaligen Buschgruppen Teiche geschaffen wurden, explodierte die Zahl der Libellenarten.
In vielen Feuchtgebieten wie hier am Greifensee ZH nimmt die Verbuschung zu. Vorne wurde entbuscht, im Bildhintergrund ist das Ried stark aufgewachsen. © SVS
Auch am Pfäffikersee siedelten sich in einer entbuschten Fläche letztes Jahr Wachtelkönig und Wachteln an. Am Fanel konnte mit dem Ausholzen der Baumreihe am Baggerloch wieder eine durchgehende Verbindung zum Chablais de Cudrefin geschaffen werden. Die Beweidung mit Schottischen Hochlandrindern kann ebenfalls die Verbuschung stark zurückbinden und zur Offenhaltung von Feuchtstellen beitragen. Die Ala gehörte mit dem Einsatz von Schottischen Hochlandrindern im Neeracherried zusammen mit dem SVS/BirdLife Schweiz auch hier zu den Pionieren. Mittlerweile weiden die robusten Rinder auch am Lauerzersee, im Frauenwinkel und in vielen anderen Feuchtgebieten.
Beweidung mit Schottischen Hochlandrindern kann die Verbuschung stark zurückbinden und zur Offenhaltung von Feuchtstellen beitragen. © SVS
Erste funktionierende Besucherlenkungen
Einige der Ala-Reservate zählen zu den ersten Gebieten, in denen in enger Zusammenarbeit mit dem Schweizer Vogelschutz SVS/BirdLife Schweiz funktionierende Besucherlenkungssysteme entstanden. Zu nennen sind hier das Neeracherried, das Fanel und der Frauenwinkel. Eine gute Besucherlenkung hält die wertvollen Naturgebiete grossflächig störungsfrei und schafft Beobachtungs- und Erlebnismöglichkeiten an Orten, wo keine sensiblen Arten betroffen sind. Verbunden mit der nötigen Information, auch durch die Aufsicht oder durch Ranger, kann so viel zur Sensibilisierung der Besuchenden beigetragen werden.
Dank der langjährigen Betreuung kann die Ala in einzelnen Reservaten auch aufwändigere Massnahmen wie dieses Kanal-Teichsystem im Fanel verwirklichen. © SVS
Die Bekämpfung der Neophyten hält heute jeden Reservats-Betreuer auf Trab. Am Greifensee zeigte das Betreuerteam, dass es möglich ist, Goldruten grossflächig zu dezimieren, indem die Naturschützer diese kurz vor der Blüte und im Herbst vor dem Absamen konsequent jäten und mähen. Von einstmals über zehn Hektaren Goldruten sind heute nur noch wenige Aren übrig. Drüsiges Springkraut, Japanknöterich und Berufkraut sorgen dafür, dass den Betreuern die Arbeit nicht ausgeht.
Reissen sie bereits die ersten Pflanzen eines invasiven Neophyten wieder aus, lässt sich der Aufwand in Grenzen halten. Allerdings ist eine regelmässige Kontrolle nötig.
Daten zur Hydrologie gesucht
Das nächste grosse Thema, an dem in Ala-Feuchtgebieten gearbeitet wird, ist das Wasser. In den meisten Feuchtgebieten gibt es zum Wasserhaushalt kaum Daten. Doch diese wären nötig, um die Wasserstände im Ried zu verbessern, neue Weiher und Flachwasserzonen einzurichten und Einleitungen von belastetem Wasser wie Drainagen und Meteorwasser zu sanieren. Gräben sollten abgeflacht werden und so wenig tief wie möglich sein, nur abschnittsweise ausgemäht und erneuert und mit einem Schieber versehen werden. Dieser erlaubt es, von Frühling bis Sommer erhöhte Wasserstände sicherzustellen und sie im Herbst zur Mahd wieder abzusenken.
Im Zusammenhang mit der Tiefhaltung des Wasserspiegels verschiedener Seen von März bis Mitte Juni hat die Ala zusammen mit dem Schweizer Vogelschutz SVS und anderen Verbänden beim BAFU einen Vorstoss unternommen. Er zielt darauf hin, die Auswirkungen dieser Tiefhaltungen auf Fauna und Flora zu untersuchen und das Schema der Tiefhaltung anzupassen. Es ist nämlich zu befürchten, dass die Flachmoore an diesen Seen längerfristig zu wenig Wasser erhalten. Die Seen werden bei schneereichen Wintern ab Mitte März durch stärkeren Abfluss tief gehalten, um allfällige Hochwasser zu vermeiden. Einerseits fehlt den Amphibien im Frühling so das nötige Wasser zum Laichen; andererseits dürften die meisten Vogelbruten ertrinken, wenn das Wasser Mitte Juni wieder ansteigt.
Das Wengimooos BE gehört zu den besonders idyllischen Reservaten, die unter der Pflege der Ala stehen. © SVS
Die Ala und ihre Betreuer in den Schutzgebieten bleiben auch hier am Ball – wie seit über 100 Jahren. Dabei kann die Ala immer wieder auf engagierte, ehrenamtlich arbeitende, innovative Betreuer zählen, die die Reservatsarbeit Schritt für Schritt weiter bringen. Sie sind der Schlüsselfaktor für den erfolgreichen Einsatz der Ala für die Natur.
Christa Glauser ist stellvertretende Geschäftsführerin des SVS und Vorsitzende der Ala-Reservatskommission.
Ala: 100 Jahre Pionierarbeit