Was jetzt?

Agrarpolitik in der Sackgasse. Das Stimmvolk hat im Juni die beiden Pestizid-Initiativen abgelehnt, das Parlament die Agrarpolitik 22+ auf den Sankt-Nimmerleinstag verschoben. Doch die ökologischen Probleme bleiben: Die Ressour-cen werden übernutzt, die Biodiversität schwindet, die Emissionen schädlicher Substanzen sind zu hoch. BirdLife Schweiz zeigt den aktuellen Diskussionsstand und macht deutlich, wohin die Reise gehen muss.


Wie weiter mit der Landwirtschaft in der Schweiz? Diese Frage steht einmal mehr im Raum, nachdem das Volk die beiden Agrarinitiativen nach einem harten Abstimmungskampf knapp abgelehnt hat. Und nachdem das Parlament die Weiterentwicklung der Agrarpolitik (AP 22+) sistiert hat. Gleichzeitig ist der Reformbedarf bezüglich Ökologie und Nachhaltigkeit gross, unbestritten – und dringend.

Wichtig zu wissen in der ganzen Diskussion ist, dass die Bundesverfassung mit dem Landwirtschaftsartikel 104 eigentlich längst klare Ziele vorgibt. Da steht etwa, dass die Landwirtschaft einen wesentlichen Beitrag zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen leisten soll. Da steht, dass der Bund die Umwelt vor Beeinträchtigungen durch überhöhten Einsatz von Düngstoffen, Chemikalien und anderen Hilfsstoffen zu schützen hat. Oder dass er die Voraussetzungen für eine «standortangepasste und ressourceneffiziente» Lebensmittelproduktion schafft.

Abgeleitet aus den rechtlichen Grundlagen und internationalen Verpflichtungen wurde bereits 2008 der Bericht Umweltziele Landwirtschaft veröffentlicht. Dieser hält die verbindlichen Ziele für den Landwirtschaftssektor im Umweltbereich fest. In einem ersten Statusbericht von 2016 stellte sich klar heraus, dass die Ziele noch längst nicht erreicht sind.

Doch wie kann es gelingen, dass sich diese klaren Ziele endlich auch im Landwirtschaftsgesetz selber und schliesslich im Vollzug und in der Praxis niederschlagen? Wie viele Berichte zu biodiversitätsschädigenden Subventionen und Fehlanreizen müssen noch publiziert werden? Wie viele zu den chronischen Verstössen gegen geltendes Recht bei den Nährstoffüberschüssen und Gewässerverschmutzungen, wie viele zum Rückgang der Biodiversität? Der Eindruck, dass der Gesetzgeber in der aktuellen Zusammensetzung (noch) nicht willens ist, die drängenden Umweltprobleme zu lösen, überwiegt. An Lösungsansätzen fehlt es nämlich nicht.

Spielregeln statt Marktversagen

Im Kern geht es immer um die offensichtliche Übernutzung der Ressourcen Wasser, Boden und Biodiversität. Folgen sind die Verschmutzung der Gewässer, der Rückgang der Artenvielfalt, der zu hohe Beitrag an die Klimaerwärmung. Die Übernutzung ist das Ergebnis eines verzerrten Marktes mit zu tiefen Preisen, der die effektiven Kosten der Nutzung nicht berücksichtigt – ein klassischer Fall von Marktversagen. Deshalb reicht freiwilliger Umweltschutz allein nicht aus. Natürlich hilft es, wenn sich Konsumierende und Landwirtinnen und Landwirte freiwillig umweltschonender verhalten, aber der Anreiz zum Trittbrettfahren – sein eigenes Verhalten nicht anzupassen und auf andere zu hoffen – ist deutlich zu gross. Ergo braucht es Spielregeln für alle, um insbesondere die effektiven Kosten inklusive der negativen externen Effekte auf die Umwelt fair zu verteilen.

Beispiel: Es genügt nicht, auf den «Goodwill» der Landwirtinnen und Landwirte zu hoffen, um bei der Ausbringung der Hofdünger auf den klimaschonenden und ressourceneffizienten Schleppschlauch zu setzen. Die notwendigen Investitionen schrecken viele ab. Aus diesem Grund hat die öffentliche Hand den Systemwechsel während einer begrenzten Zeit finanziell unterstützt und den Einsatz des Schleppschlauchs nach einer Übergangsphase ab 2022 folgerichtig als verbindlich erklärt.

Neben solchen Anreizen und Verboten stehen weitere Instrumente zur Verfügung, um negative externe Effekte zu vermeiden: Einfuhrbeschränkungen (z. B. beim Import von Futtermitteln oder Mineral- und Kunstdünger), handelbare Zertifikate (z. B. CO2-Zertifikate) oder Lenkungsabgaben (z. B. auf Pestizide).

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© iStock (alle Bilder)

Schädliches Giesskannenprinzip

Andererseits muss der Staat folgerichtig auch bei den positiven externen Effekten der landwirtschaftlichen Produktion seiner Aufgabe nachkommen und die entsprechenden Leistungen vergüten. Dies geschieht bisher erst teilweise: Die Höhe der Biodiversitäts-, Vernetzungs- und Landschaftsqualitätsbeiträge ist ungenügend und führt noch nicht zu einer wirksamen Förderung der gewünschten Allgemeingüter. Derzeit werden nicht einmal 15 % der Direktzahlungen für die Bereitstellung dieser Leistungen eingesetzt. Der grösste Teil der Unterstützungsgelder fliesst nach wie vor in Beiträge nach dem Giesskannenprinzip, welche die intensive Produktion und damit die Übernutzung noch ankurbeln – was die Bestrebungen für den Erhalt der Biodiversität und der Kulturlandschaft gleich wieder unterläuft.

Doch eben, wie weiter mit diesem komplexen System, das neben biodiversitätsfördernden Anreizen und Vorgaben auch zu viele Anreize in die entgegengesetzte Richtung enthält?

Der kleinste gemeinsame Nenner

Der momentan kleinste gemeinsame Nenner in der politischen Debatte ist die Umsetzung der parlamentarischen Initiative «Das Risiko beim Einsatz von Pestiziden reduzieren», die während des Abstimmungskampfs zu den beiden Agrarinitiativen häufig als inoffizieller Gegenvorschlag hochstilisiert wurde. Die Initiative enthält Änderungen des Landwirtschafts-, Gewässerschutz- und Chemikaliengesetzes. Ziel ist es, die Risiken durch den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und den übermässigen Nährstoffeintrag zu reduzieren. Die Gesetzesanpassungen nehmen einen Teil der im Rahmen der AP 22+ vom Bundesrat vorgesehenen Anpassungen zur Bewältigung der Umweltprobleme auf.

Nach Ablauf der Vernehmlassungsfrist des ersten Verordnungpakets Mitte August ist jedoch noch offen, welche Ziele der Bundesrat mit welchen Massnahmen schliesslich verfolgen wird. Für BirdLife Schweiz gehen die vorgeschlagenen Ziele und Massnahmen deutlich zu wenig weit: Die Einhaltung der verbindlichen Umweltziele Landwirtschaft wird erneut auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben. Statt die Probleme bei der Wurzel zu packen, werden mit zu zaghaften Umlagerungen und mit der Lancierung von immer neuen Beitragsklassen und Auflagen weiterhin die Symptome einer verfehlten Agrarpolitik bewirtschaftet.

Agrarpolitik im grösseren Kontext

Parallel dazu erarbeitet die Bundesverwaltung in Erfüllung eines Postulats namens «Zukünftige Ausrichtung der Agrarpolitik» einen Prüfbericht, der die Agrarpolitik in einen grösseren Kontext stellen und die vor- und nachgelagerten Bereiche inklusive Kosumentinnen und Konsumenten in die Lösungsfindung einbinden soll. Nur werden die drängenden Umweltprobleme mit einem neuen Bericht nicht weniger. Robert Finger, Professor für Agrarwirtschaft an der ETH Zürich, kommentiert: «So ist der Kern eines nachhaltigen Ernährungssystems immer noch eine nachhaltige Landwirtschaft. Es braucht daher sowohl Ansätze entlang der ganzen Kette, aber eben auch immer noch eine nachhaltigere landwirtschaftliche Produktion.»

Was es braucht

Für BirdLife Schweiz ist klar, dass die Biodiversität im Kulturland nur dann effektiv gefördert werden kann, wenn...

  • ..die Nährstoffüberflüsse mindestens unter die sogenannten «Critical Loads» gesenkt werden, welche für die Ökosysteme gesamthaft tragbar sind.
  • ...der Einsatz von Pestiziden auf die Wirkstoffe der geringsten Risikoklasse eingeschränkt wird.
  • ...alle Landwirtschaftsbetriebe mindestens zehn Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche als wertvolle ökologische Ausgleichsflächen bewirtschaften – auch auf der Ackerfläche. Wichtig dabei ist das Wörtchen «wertvoll»: Die Qualität der Flächen ist ebenso wichtig wie die Fläche selbst.
  • ...die gesamte landwirtschaftliche Nutzfläche mit mehr Rücksicht auf die Biodiversität bewirtschaftet wird, so etwa mit schonenden Erntetechniken, geringerer Nutztierzahl, Einrichten von naturnahen Strukturen etc. Nur so lässt sich im Übrigen das Produktionspotenzial in der Schweiz langfristig erhalten.

Deshalb setzt sich BirdLife Schweiz weiterhin auf allen Ebenen für eine Reform der Agrarpolitik in Richtung nachhaltige und standortangepasste Landwirtschaft ein und fördert im Rahmen von Artenförderungsprojekten erfolgreich den Dialog zwischen Naturschutz und Landwirtschaft.

Gleichzeitig sind diese Bemühungen Zeugnis davon, dass die aktuelle Agrarpolitik den Schutzbemühungen häufig diametral entgegenläuft. Nur dank viel Aufwand und mit der grosszügigen Unterstützung von privater Seite gelingt es BirdLife Schweiz, in der Artenförderung im Kulturland Erfolge zu verzeichnen.

 

Patrik Peyer ist Projektleiter Landwirtschaft bei BirdLife Schweiz.

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