Jahr der Rekorde

Wachtelkönig. In diesem Jahr wurden in der Schweiz 88 Wachtelkönige entdeckt – so viele wie noch nie seit Beginn des Arten­förderungsprojektes von BirdLife Schweiz. Fast alle der 50 möglichen bis sicheren Bruten konnten dank BirdLife, den Kantonen und vielen Helfenden vor der Mähmaschine geschützt werden oder befanden sich in Schutzgebieten. Der Aufwand war gross, aber er hat sich gelohnt.


Das Jahr 2020 wird als Rekordjahr in die Annalen des Artenförderungsprojekts Wachtelkönig eingehen, das seit 1996 besteht. Bereits am 10. April – so früh wie nie zuvor – konnte am Mauensee LU ein rufender Vogel festgestellt werden. Am 1. Mai begann dann der grosse Einflug, der im Berner Seeland seinen Anfang nahm. Zeitweilig hielten sich auf einem Feld bei Seedorf bis zu fünf Individuen auf. Später gab es an drei weiteren Standorten Rufgruppen mit drei oder mehr Männchen, so etwa im Neeracherried. Nach und nach folgten weitere Meldungen. In der Ajoie riefen insgesamt vier Individuen. Im Bündnerland, dem Schweizer Hauptverbreitungsgebiet, konnten mit 20 Rufern erwartungsgemäss die meisten Nachweise erbracht werden. Letztere gelangen den beiden Praktikantinnen von BirdLife Schweiz, die ab Ende Mai bis Mitte Juli Nacht für Nacht auf der Suche nach Wachtelkönigen waren, sowie Wildhütern oder auch privaten Ornithologinnen und Ornithologen. 

Insgesamt stellten wir in diesem Jahr 88 Einzeltiere fest, davon 50 mit möglichen bis sicheren Bruten. Sichere Bruterfolge verzeichneten wir in den Kantonen Wallis, Schwyz und Graubünden. Erfreulich: Für 47 (mögliche) Brutstandorte konnten Verträge mit den Landwirten abgeschlossen werden, damit diese die Wiesen nicht zu früh mähten, oder aber Verträge waren nicht nötig, da sich die Vögel in Schutzgebieten niederliessen. 

Weshalb dieser Einflug?

Für den überdurchschnittlichen Einflug des Wachtelkönigs ist vermutlich eine Kombination diverser Faktoren verantwortlich. In ganz Europa herrschte eine kaum je dagewesene Trockenheit: Von Nordfrankreich bis zur russischen Grenze fiel im April kaum ein Tropfen Regen. Für den Wachtelkönig, der für das Brutgeschäft eine hohe und dichte Vegetation benötigt, um einen höchst­möglichen Schutz vor Prädatoren zu haben, ist eine solche Trockenheit ein Problem: Die Wiesen wachsen zu langsam und bieten zur Brutzeit keine ausreichende Deckung. Überdies brannte es Ende April im grössten Nationalpark Polens, im Biebrza-Nationalpark. Mit seinen riesigen Feuchtwiesen ist er ein sehr wichtiges Brutgebiet für den Wachtelkönig. Insgesamt wurden rund 6000 Hektaren Opfer der Flammen. Aus beiden Gründen ist es gut möglich, dass die aus Afrika ankommenden Wachtelkönige gezwungen waren, andere potenzielle Brutgebiete in Europa aufzusuchen. 

In der Schweiz folgte der lang ersehnte Regen im April. Die Niederschläge setzten sich bis anfangs Mai fort; einzig das mittlere und südliche Tessin ging leer aus. Dies deckt sich mit den Wachtelkönig-Nachweisen: 2020 wurde kein einziger Wachtelkönig im Tessin nachgewiesen. Im Mittelland hingegen liess der späte Regen im April die Vegetation richtiggehend «explodieren». Er fiel zeitlich genau mit dem Eintreffen der ersten Wachtelkönige zusammen. Durch die Nässe konnten besagte Wiesen nicht gleich früh wie in anderen Jahren gemäht werden und wurden von den Wachtelkönigen dankend besiedelt. Dank den Beobachtungsmel­dungen an BirdLife Schweiz oder via ornitho.ch konnten wir geeignete Schutzmassnahmen rasch ergreifen. 

WA Grengiols Lombardo
WA Infotafel Seedorf
Zwei Gebiete, in denen dieses Jahr Wachtelkönige gefunden wurden: Grengiols VS und Seedorf BE. © Lucas Lombardo (2)

Gute Zusammenarbeit

Um Verträge für einen späteren Wiesenschnitt abschliessen zu können, die erfolgreiche Bruten des Wachtelkönigs überhaupt erst ermöglichen, benötigt es eine gute Zusammenarbeit mit den Kantonen. BirdLife Schweiz ist für die exakte Ortsbestimmung der Rufer und die ersten Verhandlungen mit den Landwirten verantwortlich, der Vertrag wird dann zwischen den Landwirten und den Kantonen geschlossen. Letztere entrichten den Bewirtschaftenden auch Ertragsausfallentschädigungen. 

Zum Glück hatten die Landwirte bis auf wenige Ausnahmen auch dieses Jahr grosse Freude, wenn der seltene Wiesenbrüter ausgerechnet ihre Parzelle für sein Brutgeschäft ausgesucht hatte. In diesen Fällen gelang es, Verträge zu unterzeichnen, die einen guten Kompromiss für alle Beteiligten darstellten. Die Höhe der Entschädigung variiert von Kanton zu Kanton. Zukünftig wäre es wünschenswert, dass eine national einheitliche Lösung gefunden würde, die bei der Festlegung der Entschädigung die Bewirtschaftungsform wie auch die Höhenstufe berücksichtigt. Für die dennoch sehr gute Zusammenarbeit bedankt sich BirdLife bei den Kantonen und Landwirten herzlich.

Ein Rekordjahr wie 2020 darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch immer wieder Rückschläge zu verzeichnen gibt. Im Kanton Jura wurde im Juni ein Wachtelkönig bei der Brut vermäht. Die Bewirtschaftenden wussten nichts von der Anwesenheit der Vögel. Im Luzerner Napfgebiet wurde ebenfalls eine Brut zerstört; auch dort war den Bewirtschaftenden nicht bekannt, dass ein Wiesenbrüter ihre Wiese als Brutplatz ausgesucht hatte. Zwar wurde der Wachtelkönig an einem Abend gehört, aber eben nur an einem Abend – was gemäss Literatur auf einen Durchzügler schliessen liess. Eine Woche später wurde die Wiese gemäht und ein Nest mit 11 Eiern gefunden. Diese Brut war verloren. 

Der Fund ist aber ein Beweis dafür, dass sich Rallen extrem schnell verpaaren können und sich nicht immer an die wissenschaftliche Literatur halten. Das bestärkt uns in der Ansicht, dass der Artikel 17 des Jagd- und Schutzgesetzes zugunsten der Vögel auszulegen ist: So soll auch bei nur wenigen Tagen mit Rufaktivität nach dem Vorsorgeprinzip gehandelt und ein Mahdaufschub mit Ertragsausfallentschädigung angeordnet werden können. Dies wurde 2020 in den Kantonen Jura, Thurgau und Waadt bereits so gehandhabt; hoffentlich wird das in anderen Kantonen zukünftig Nachahmung finden.

Frevler sind die Ausnahme

Nebst diesen schwierig zu vermeidenden Fällen gab es leider auch zwei Misserfolge, die von der fehlgeleiteten aktuellen Agrarpolitik zeugen. Die Bewirtschaftenden waren unter keinen Umständen bereit, auf ein bis zwei Qualitätsschnitte zu verzichten, obwohl sie finanziell entschädigt worden wären. In genau solchen Fällen bräuchte es eine Agrarpolitik, welche die Bewirtschaftenden in ihren Schutzbemühungen entsprechend belohnt. 

Insgesamt hat das Jahr 2020 aber auf erfreuliche Weise bestätigt, dass die gute Zusammenarbeit von BirdLife Schweiz mit Kantonen und Bewirtschaftenden Früchte trägt. Die Erkenntnisse zeigen, dass sich sowohl die Kantone wie auch die Landwirtinnen und Landwirte ihrer Verantwortung und ihrem gesetzlichen Auftrag grossmehrheitlich bewusst sind. Eine in der Schweiz vom Aussterben bedrohte Vogelart hat somit weiterhin die Chance, erfolgreich zu brüten – wenigstens dort, wo sie noch auftritt und rasch entdeckt und gemeldet wird.

Lucas Lombardo ist Leiter des Artenförderungsprojekts Wachtelkönig bei BirdLife Schweiz.

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