162 Subventionen, die der Biodiversität schaden

Umfassende Analyse der Wissenschaft. Bund und Kantone subventionieren zahlreiche Aktivitäten, welche Lebensräume von Pflanzen, Tieren und Pilzen unbeabsichtigt schädigen. Die Eidgenössische Forschungsanstalt WSL hat nun zusammen mit dem Forum Biodiversität Schweiz erstmals diese Subventionen und Fehlanreize identifiziert. BirdLife Schweiz hat zusammen mit Pro Natura die Studie unterstützt. Diese zeigt: Die Subventionen, die der Biodiversität schaden, sind um ein Vielfaches höher als die Mittel für Massnahmen, mit denen der Rückgang der Biodiversität gebremst werden soll.


Mit mehr als 160 Subventionen finanzieren Bund und Kantone Aktivitäten, die der Biodiversität schaden. Dies zeigt die umfassende Studie, welche die Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) und das Forum Biodiversität Schweiz der Akademie der Naturwissenschaften (SCNAT) Ende August an einer Medienkonferenz präsentierten.

Subventionen, die zu Umweltschäden beitragen, gibt es nicht nur in der Schweiz. Weltweit werden fossile Energien mit rund 4,7 Billionen US-Dollar pro Jahr staatlich gefördert – das sind etwa 6,3 Prozent des globalen Bruttosozialprodukts. Rund 22 Milliarden US-Dollar pro Jahr fliessen in die nicht nachhaltige Fischerei. Milliardenbeträge von öffentlichen Geldern befeuern den Klimawandel, die Überfischung der Meere und den Biodiversitätsschwund.

Diese Politik wird schon lange kritisiert. So empfahlen die Weltbank und das World Resources Institut bereits in den 1980er-Jahren die Abschaffung von Subventionen für fossile Energieträger. Ende der 1990er-Jahre erschien der erste Bericht der OECD zu umweltschädigenden Subventionen. Regierungen der OECD-Mitgliedsländer, der G7 sowie der G20 äusserten in den Folgejahren wiederholt die Absicht, umweltschädigende Subventionen bis 2020 zu reduzieren oder abzuschaffen. 

Mit dem 2010 verabschiedeten Strategischen Plan der UN-Biodiversitätskonvention und dem dort formulierten Aichi-Ziel Nr. 3 fordert erstmals eine internationale Vereinbarung bis 2020 die Abschaffung und Umleitung jener Subventionen, welche die Biodiversität schädigen. Dieses Ziel floss auch in die Strategie Biodiversität Schweiz von 2012 ein, abgeschwächt und mit einer Fristverlängerung bis 2023 auch in den zugehörigen Aktionsplan von 2017. 

Bildschirmfoto 2023 12 04 Um 14.56.01

Die Anzahl Subventionen, mit welchen Aktivitäten gefördert werden, die unbeabsichtigt der Biodiversität schaden, ist für verschiedene Sektoren sehr unterschiedlich. Nur ein Teil der Subventionen ist vollständig schädlich; oft hängt das Ausmass der negativen Wirkung davon ab, wie eine subventionierte Aktivität ausgeführt wird.

Verschiedene Sektoren betroffen

Bei der Analyse von WSL und Forum Biodiversität Schweiz gingen die Forschenden von den Ursachen aus, die für den Rückgang der Biodversität verantwortlich sind. Diese Ursachen sind hauptsächlich den folgenden Bereichen zuzuordnen: Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Verkehr, Energieproduktion und -konsum, Siedlungsentwicklung, Tourismus, Abwasserentsorgung und Hochwasserschutz. In diesen Sektoren werden Aktivitäten subventioniert, die Natur und Landschaft schaden, etwa mit Beiträgen an den Strassenbau, für Milch- und Fleischproduktion, Investitionsbeiträgen für die Kleinwasserkraft, Förderung des privaten Wohneigentums etc. Dies führt dazu, dass Lebensräume verloren gehen oder ihre Qualität beeinträchtigt wird. 

Ein Teil der Finanzierungen durch die öffentliche Hand erscheint im Budget des Staatshaushalts (sogenannte On-Budget-Subventionen, auch ausgabenseitige Subventionen genannt) und lässt sich deshalb grösstenteils quantifizieren. Der Umfang anderer Subventionen wie Steuererleichterungen oder Erlasse von Abgaben lässt sich hingegen nur sehr schwer oder gar nicht abschätzen (Off-Budget-Subventionen). Im Rahmen der Studie wurde der Begriff «Subvention» weit gefasst. Er enthält sowohl On- wie Off-Budget-Beiträge und implizite Subventionen wie externe Kosten; auch einzelne finanzielle Fehlanreize wurden erfasst.

Zwei Drittel sind quantifizierbar

Von den 162 identifizierten Subventionen von Bund und Kantonen mit einer mehr oder weniger schädigenden Wirkung auf die Biodiversität ist es bei knapp zwei Dritteln gelungen, die Summen der Subventionen ausfindig zu machen oder zu berechnen. Die Forschenden kamen dabei auf insgesamt jährlich 40 Milliarden Franken, deren Verwendung eine negative Wirkung auf die Biodiversität haben.

Diesen 40 Milliarden stehen 0,5 bis 1 Milliarde Franken gegenüber, welche die öffentliche Hand jährlich für die Erhaltung, Förderung und nachhaltige Nutzung der Biodiversität einsetzt. Es erstaunt deshalb nicht, dass die lokal positiven Entwicklungen durch aufgewertete Lebensräume, Biodiversitätsförderung im Landwirtschaftsgebiet oder gezielt unterstützte Pflanzen- und Tierarten insgesamt in den Schatten gestellt werden durch Entwicklungen, die den Druck auf Natur und Landschaft erhöhen. Bei gut einem Viertel der Subventionen besteht allerdings ein ökologischer Zielkonflikt. So ist zum Beispiel die Förderung erneuerbarer Energie wichtig für den Klimaschutz, kann aber die Biodiversität beeinträchtigen.

Ökonomisch ineffizient

Biodiversitätsschädigende Subventionen sind nicht nur ökologisch schädlich, sondern auch ökonomisch ineffizient. So müssen angerichtete Schäden oft wieder repariert werden – dies ebenfalls mit Geldern der öffentlichen Hand. 

Die Studie gibt Empfehlungen an die Politik ab, damit bei bestehenden und neuen Subventionen Schäden und Zielkonflikte erkannt und die Subventionen eliminiert oder umgeleitet  werden können. In vielen Fällen liessen sich Subventionen relativ einfach umgestalten, indem ihre Vergabe an Kriterien gebunden würde. So könnten zum Beispiel Finanzhilfen und Darlehen für den Tourismus im Rahmen der Neuen Regionalpolitik an die Biodiversitätsverträglichkeit gebunden werden. Andere Subventionen wie Steuervergünstigungen zugunsten des Wohneigentums lassen sich kaum biodiversitätsfreundlich umlenken. Weil sie auch finanzpolitisch umstritten sind, sollten sie abgeschafft oder allenfalls in biodiversitätsneutrale On-Budget-Subventionen umgeleitet werden.

Der enorme Handlungsbedarf ist aufgezeigt – jetzt liegt der Ball bei der Politik.

Dr. Sascha Ismail ist wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Forum Biodiversität Schweiz. Lena Gubler ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der WSL und hat die Studie zu den biodiversitätsschädigenden Subventionen massgeblich durchgeführt. Dr. Daniela Pauli ist Redaktorin von Ornis und Leiterin des Forums Biodiversität Schweiz.

Details zu den Publikationen

Die Ergebnisse der Studie sind als ausführlicher Grundlagenbericht und zusammenfassendes Faktenblatt in Deutsch, Französisch und Englisch erschienen. Alle Publikationen stehen als PDF zur Verfügung.

Grundlagenbericht: Gubler L., Ismail S.A., Seidl I. (2020): Biodiversitätsschädigende Subventionen  in der Schweiz. Grundlagenbericht. WSL Ber. 96., 218 Seiten. PDF: www.wsl.ch/subventionen

Faktenblatt: Gubler L., Ismail S.A., Seidl I. (2020): Biodiversitätsschädigende Subventionen in der  Schweiz. Swiss Academies Factsheet 15 (7), 16 Seiten. PDF: bit.ly/3gZduHC

Jetzt Ornis abonnieren und weiterlesen!

Ornis ist die Zeitschrift über Vögel, Natur und Naturschutz. Entdecken Sie 6-mal im Jahr wunderbar bebilderte Berichte, Reportagen aus dem In- und Ausland, Portfolios und vieles mehr!

Jetzt Ornis abonnieren und weiterlesen!