Sanftes Plätschern, jähe Flucht

Stand-Up-Paddling und Vögel. Eine neue Sportart hat die Gewässer erobert: Stand-Up-Paddling (SUP), auf Deutsch Steh­paddeln. Der Boom dieses an sich friedlichen Vergnügens hat eine negative Seite: Immer mehr Menschen bewegen sich in Zonen, die früher den Vögeln vorbehalten waren. Die Störungen sind gross – ein einzelner Paddler kann tausende Vögel aufscheuchen. Nötig sind neue Richtlinien und eine bessere Information.


Das gefaltete Board aus dem Rucksack genommen, aufgeblasen – und schon ist man bereit. Das Stand-Up-Paddling (SUP) mit festem oder aufblasbarem Brett erlebt seit wenigen Jahren einen Boom: auf Seen, wo man das einfache und nur einige hundert Franken teure Gerät an unzähligen Orten wassern kann, aber zunehmend auch an Flüssen. Waren die ersten Stehpaddlerinnen und Stehpaddler noch vorwiegend im Sommer unterwegs, ist SUP heute dank Neoprenanzügen bereits ein Ganzjahressport. Einer, der überdies neue negative Auswirkungen auf die Natur unserer – längst durch Freizeitbetrieb stark belasteten – Gewässer haben kann. 

«Stehend über das Wasser zu gleiten, weckt Unabhängigkeit und Freiheit – erst wer einmal das leise Plätschern der Bugwelle und des rhythmischen Paddelschlags vernommen hat, kann wirklich mitreden.» So preist Schweiz Tourismus das Stehpaddeln an. Wer möchte sich nicht den Traum erfüllen, übers Wasser zu gehen und Orte an Seen und Flüssen zu erkunden, die man vom Land aus nicht sieht und die nur vom Wasser aus zugänglich sind?

Ein neuer Breitensport

Doch genau damit entstehen die Probleme: Der einfache Zugang, die geringen Kosten, das einfache Handling und keinerlei Prüfungen oder Zulassungen haben das SUP in kurzer Zeit zum Breitensport werden lassen. Plötzlich tauchen nun Menschen in allen Bereichen der Gewässer auf, auch dort, wo sich die Vögel bis anhin sicher fühlten. Dabei ist nicht allein die Anzahl der Stand-Up-Paddler ein grosses Problem für brütende und rastende Wasservögel. Die Sportler sind schon von Weitem zu sehen, als stehender Mensch ohne jede Deckung, was viele Tiere in Alarmbereitschaft versetzt. Dass das Paddel in der Hand noch eine zusätzliche Störung verursacht, wird vermutet. 

Sowieso gibt es zum Thema SUP noch einen grossen Forschungsbedarf. Eine erste Studie zum Einfluss auf Wasservögel im Winter hat Matt­hias Bull für seine Masterarbeit an der Hochschule Anhalt in Zusammenarbeit mit dem Landesbund für Vogelschutz Bayern (LBV) durchgeführt. Er kam zu folgenden Ergebnissen: «Häufiger als gegenüber den anderen untersuchten Wassersportarten zeigten Wasservögel bei Störungen durch SUP Fluchtdistanzen von über 500 Metern. Zudem waren die maximal festgestellten Effekt- und Fluchtdistanzen bei keiner der anderen untersuchten Wassersportarten höher als beim SUP. Im Einzelfall flüchteten Vögel gegenüber einem einzelnen Stand-Up-Paddler bereits in einer Entfernung von 1,5 km. Durch SUP gestörte Vögel flogen überdurchschnittlich oft weite Strecken, ehe sie wieder landeten. Zum Teil wurden kilometerlange Fluchtstrecken dokumentiert. Auch verliessen die Vögel das Gewässer häufiger, als dies bei Störungen durch die anderen untersuchten Sportarten der Fall war.» 

Gesetze sind unzureichend

Für die Brutzeit gibt es noch keine Studie; eine solche wäre dringend nötig. Studien zum Kanufahren zeigen jedoch, dass Bruten bei häufigen Störungen beeinträchtigt, abgebrochen oder gar nicht erst angefangen werden. 

Störungen in dieser Dimension sind die Schutzbestimmungen an den Schweizer Gewässern schlicht nicht gewachsen. In vielen Wasservogelreservaten ist Stehpaddeln nicht ausgeschlossen. Auch «grosse» Seeschutzzonen sind in unserem Land oft nur wenige hundert Meter breit und sichern nur direkt jenen Bereich, den die Tiere als Lebensraum benötigen, etwa eine Flachwasserzone. 

Was jedoch auf den Gewässern fehlt, sind Störungspufferzonen, welche die Störwirkungen über 500 bis 1500 Meter hinweg verhindern können. Das bestätigt auch Stefan Werner, Wasservogelexperte vom Bodensee und Mitarbeiter im Fachbereich Konflikte Vögel-Mensch an der Schweizerischen Vogelwarte: «Ein einzelner Stand-Up-Paddler kann tausende Wasservögel aufscheuchen, selbst aus über einen Kilometer Distanz. Dabei löst die Reaktion der sensibelsten Vogelart oft eine Kettenreaktion aus, die selbst scheinbar unempfindliche Arten wie den Höckerschwan zur Flucht veranlassen kann.» 

Aus Sicht von BirdLife Schweiz besteht deshalb dringender Handlungsbedarf. Einerseits an allen naturnahen (Schilf-)Ufern, wo die Empfehlung eines Abstandes von 25 Metern bei Weitem nicht ausreicht. Die 25 Meter stammen aus dem Uferschutz und decken nur den Schutz des Ufers vor Erosion ab. Sie sind jedoch keineswegs ausreichend, um die im Uferbereich anwesenden Vögel vor Störungen zu schützen. Andererseits sind bei allen Vogelansammlungen und insbesondere bei den Wasservogelreservaten grosse Abstände von mehreren hundert Metern nötig.

BirdLife Schweiz fordert, dass das bewährte Vorsorgeprinzip des Umweltschutzes der Schweiz auch hier angewandt wird. Das heisst, dass bis zum Vorliegen verlässlicher neuer Forschungsergebnisse nach der Regel «1-5-1» gehandelt wird: 1 Kilometer Abstand von grösseren Ansammlungen von Vögeln auf dem Wasser, 500 Meter Abstand von Schutzgebieten von nationaler Bedeutung und 100 Meter Abstand von Schilfufern. 

An den Einwasserungsstellen wird der letzte Wert nicht immer einzuhalten sein, doch ist zu prüfen, ob es wirklich noch gerechtfertigt ist, dass zum Stehpaddeln von jeder Stelle an einem Gewässer aus gestartet werden kann. 

Bestehende Seeuferschutzzonen sollen von den Behörden ausreichend gekennzeichnet werden. Zudem sind Schutzbestimmungen strikt durchzusetzen. Denn jene Sportler, die bestehende Schutzzonen willentlich oder unwissentlich missachten, stören ganz besonders.

Grössere Abstände gefordert

Die BirdLife-Forderungen stehen im Einklang mit den Aussagen der Experten der Vogelwarte: Ihrer Meinung nach sollten Stand-Up-Paddler einen Abstand von einem Kilometer zu bedeutenden Wasservogelgebieten einhalten. «Wird dieser Abstand unterschritten, kann in Gebieten mit grossen Wasservogelansammlungen ein Einfluss auf die Qualität des Rastgebiets nicht ausgeschlossen werden», meint Stefan Werner. Sollte die Grösse des Gewässers einen so gros­sen Abstand zu wichtigen Wasservogelgebieten nicht zulassen, so ist ein ganzjähriges Befahrungsverbot zu empfehlen.

BirdLife Schweiz will den Stehpaddlerinnen und Stehpaddlern ihr Freizeitvergnügen in der Natur nicht vermiesen. Es liegt jedoch auch in ihrem Interesse, dass ihr Sport so naturnah wie möglich ausgeführt wird. Zusätzlich zu klaren Vorgaben ist deshalb auch die Sensibilisierung der Sportlerinnen und Sportler wichtig. Beim Kauf oder der Miete eines Boards sollten die nötigen Informationen daher automatisch mitgeliefert werden. 

BirdLife Schweiz hat kürzlich mit der Fachkommission SUP des Schweizer Kanu-Verbandes Kontakt aufgenommen und hofft, gemeinsam mit allen Beteiligten gute Lösungen zu finden. 

Werner Müller ist der Geschäftsführer von BirdLife Schweiz.

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