Projekte zahlen sich aus

Artenförderungsprojekte für den Kiebitz. Seit rund 15 Jahren laufen in mehreren Gebieten der Schweiz Artenförderungsprojekte für den Kiebitz. Damit konnte die Zahl der Brutpaare deutlich gesteigert werden. Allerdings muss der durchschnittliche Bruterfolg weiter zunehmen – nicht ganz einfach bei einer boden­brütenden Art, die fast alle natürlichen Biotope verloren hat.


Raffael Ayé

05.02.2019, Ornis 1/19

Der Kiebitz hat es nicht leicht. In weiten Teilen Europas gehen die Bestände seit Jahren zurück. Auch in der Schweiz ist die Population vor 15 Jahren auf einem Tiefpunkt angelangt. Daher wurden in rund zehn Gebieten Förderprojekte gestartet. Seitdem ist die Zahl der Brutpaare wieder angestiegen; 2018 waren es lan­desweit 206 Paare. In den Projekten geht es zum Beispel darum, vegetationsarme Lebensräume für die Brut der Kiebitze zu pflegen, den Verlust von Eiern und Küken durch Beutegreifer zu verhindern und geeignete Lebensräume für die Nahrungssuche zur Verfügung zu stellen.

Eine der grössten Herausforderungen im Kiebitzschutz ist der Brut­erfolg: Die Zahl der flüggen Jungvögel pro Brutpaar ist meist zu klein. Aber welches sind die Faktoren, die den Bruterfolg limitieren, und welche Massnahmen können ihn steigern? Welche Rolle spielen die Landwirte dabei? Diesen Fragen versucht BirdLife Schweiz zusammen mit der Vogelwarte Sempach und vielen weiteren Akteuren auf den Grund zu
gehen.

Lebensräume wandeln sich

Einerseits sind die Feuchtgebiete – der ursprüngliche Lebensraum des Kiebitzes – grösstenteils entwässert worden. Andererseits spielen auch Nahrungsverfügbarkeit, Witterung und weitere Faktoren eine Rolle. In den letzten Jahren haben Kiebitz­spezialistinnen und -spezialisten oft eine zu warme und trockene Witterung beklagt – in älterer Literatur hingegen berichteten die Autoren von geringem Bruterfolg aufgrund von nasskalter Witterung. 

Die heute noch bestehenden kleinen Feuchtgebiete haben zudem oftmals zu tiefe Wasserstände und zeigen aufgrund von Nährstoffeintrag und wärmerer Witterung im Frühling eine rasche und starke Vegetationsentwicklung bis hin zu Verschilfung oder Verbuschung. 

BirdLife Schweiz und die BirdLife-Landesorganisation Ala haben deshalb im Neer­acherried ZH ab 1997 die Beweidung einer Riedwiese organisiert. Zwei Jahre später haben die Kiebitze das Gebiet nach einer Absenz von 14 Jahren wieder besiedelt und seither in den meisten Jahren dort gebrütet, allerdings nur teilweise erfolgreich. 

Auch im Auried FR wurde 1997 eine Beweidung mit Schottischen Hochlandrindern eingeführt, und auch hier ist der Kiebitz als Brutvogel zurückgekehrt. Es ist an beiden Orten gelungen, mittels Beweidung mit dem richtigen Weidedruck niedrige Riedvegetation mit einem Mosaik von offenen Bodenstellen und deckungsgebender Vegetation zu fördern, womit auch die Wiederbesiedlung durch den Kiebitz gelang. 

Das ist ein wichtiger Teilerfolg. Hingegen gibt es Faktoren, die den Bruterfolg beeinträchtigen. Ein wichtiger davon ist wohl die Prädation, auf die später noch eingegangen wird. In anderen Feuchtgebieten war die Beweidung nicht erfolgreich; aufgrund von zu tiefem Weidedruck schritten Verschilfung oder Verbuschung voran und es brüteten keine Kiebitze, so in der Petite Camargue Alsacienne (Frankreich) und im Chablais de Cudrefin VD.

KS Kiebitz Burkhardt Marcel
Der Kiebitz brütet inzwischen auch gerne auf Äckern. Dies erfordert Rücksichtnahme durch die Landwirte. © Marcel Burkhardt
KS Zaeunen Frauenwinkel
Gegen Beutegreifer wie Füchse helfen nur Elek­trozäune (hier im Frauenwinkel SZ). Doch das Aufstellen und die Kontrolle der Zäune ist zeitaufwändig. © Stiftung Frauenwinkel

Absprachen im Ackerland

Aber auch im Ackerland brütet der Kiebitz. Die Vogelwarte Sempach hat 2005 ein Projekt zur Erforschung und Förderung der Art im Wauwilermoos gestartet. Das Projekt zeigte  unter anderem, dass die meisten Brutverluste sowohl durch landwirtschaftliche Maschinen als auch durch nächtliche Prädation durch Füchse und andere Beutegreifer verursacht wurden. Absprachen mit den Landwirten sowie die Installation elektrischer Weidezäune trugen dazu bei, die Verluste stark zu reduzieren. Die Vogelwarte konnte im Wauwilermoos einen stark wachsenden Bestand feststellen. 

Dank Farbberingung ist auch nachgewiesen, dass ein hoher Anteil der heutigen Brutvögel Jungvögel aus früheren Jahren sind. Seit vielen Jahren ist die Kolonie im Wauwilermoos die schweizweit grösste Kolonie; 2018 brüteten hier 47 Brutpaare.

Basierend auf den Erfahrungen aus dem Wauwilermoos wurden auch andernorts Kiebitzprojekte im Ackerland gestartet. BirdLife Zürich fördert die Art beispielsweise seit 2011 bei Gossau ZH, zusammen mit dem Naturschutzverein Gossau und Umgebung, BirdLife Schweiz und der Fachstelle Naturschutz des Kantons Zürich. Der Landwirt baute auf der betroffenen Parzelle mit einer Sonderbewilligung mehrere Jahre hintereinander Mais an, den er jedoch spät einsäte, um den Kiebitzen die Brut zu ermöglichen. Ehrenamtliche lokalisierten die Nester und betreuten den Schutzzaun.

Die Stiftung Frauenwinkel führt zusammen mit dem Kanton Schwyz und BirdLife Schweiz ein Kiebitzprojekt im Nuoler Ried und im Frauenwinkel am Zürichsee durch. Sie knüpft damit an eine alte Tradition an, denn bereits vor rund 80 Jahren hatte Pater Johannes Heim begonnen, die Kiebitze der Region zu studieren. Die beiden Kolonien sind in den letzten zehn Jahren stark angewachsen und gehörten in den letzten Jahren jeweils zu den fünf grössten der Schweiz. Ganz wichtig ist die enge Zusammenarbeit mit den landwirtschaftlichen Genossenschaften und den Bewirtschaftern in den beiden Gebieten.

Im Grossen Moos baute BirdLife Schweiz 2015 das seit 2005 bestehende Steinkauzprojekt zusammen mit Berner Vogelschutz BVS, Berner Ala, den Landwirten und weiteren Partnern zu einem grösseren Projekt zugunsten von Kiebitz, Steinkauz, Grauammer und anderen Arten aus (siehe Ornis 5/17). BirdLife konnte mit den Landwirten die gestaffelte Mahd von Extensivwiesen und das Einrichten einer Rotationsbrache verhandeln.

KS Brache RA
Eigens für den Kiebitz angelegte Brachen (Bild: im Grossen Moos bei Ins BE) haben sich als besonders geeignete Artenförderungsmassnahme entpuppt. © BirdLife Schweiz
KS Mais Einsatzbegleitung
Wo die Kiebitze wie im Nuoler Ried auf Äckern brüten, müssen die Nester vor dem Traktor bewahrt werden. Die blauen Kisten markieren die Nester. © Stiftung Frauenwinkel

Massnahmen dienen auch anderen

Im Grossen Moos, in den beiden Schwyzer Gebieten und andernorts ermitteln ehrenamtliche und professionelle Projektmitarbeitende die Neststandorte. Danach werden die Kiebitzkolonien mit Elektrozäunen geschützt; jede Feldbearbeitung durch die Landwirte wird begleitet. Dazu meldet sich der Bewirtschafter vor jedem Bearbeitungsgang telefonisch beim entsprechenden Projektteam. Zum ersten Mal seit rund 15 Jahren konnten wir damit im Gros­sen Moos wieder einen Bruterfolg verzeichnen. Zwar ist er noch immer relativ gering, aber er nimmt auf tiefem Niveau zu.

Im Rahmen des Projekts testete BirdLife Schweiz 2017 und 2018 aufgrund der trockenen Frühlingswitterung eine neue Massnahme für den Kiebitz: Mittels einer Solarpumpe wurde Wasser auf den Acker gepumpt und so eine Pfütze geschaffen. Die Massnahme war erfolgreich: Fast immer suchten einzelne Kiebitze an dieser Pfütze nach Nahrung.

Im Fraubrunnenmoos BE startete die Stiftung Bufo gemeinsam mit dem Landwirt Christian Studer bereits vor gut zehn Jahren ebenfalls ein Projekt zugunsten der Kiebitze. Es wurden 1,4 Hektaren Land abhumusiert, worauf die Kiebitze schon im folgenden Frühling zu brüten begannen. Einige Jahre später taten sich die Stiftung und der Landwirt mit weiteren Partnern, darunter auch BirdLife Schweiz, zusammen, um das Projekt auszuweiten. Die Berner Ala übernahm die Trägerschaft und konnte eine Fläche von weiteren drei Hektaren aufwerten, so dass dem Kiebitz, dem Dunklen Moorbläuling, Amphibien, Libellen und weiteren Arten inzwischen über vier Hektaren zur Verfügung stehen. Von der zweiten Aufwertung konnten die «Vögel des Jahres» bisher zahlenmässig nicht profitieren, vermutlich weil wiederholt ein Fuchs und ein Hermelin in die umzäunte Fläche eindringen konnten.

Die Herausforderung der Prädation blieb auch in anderen Gebieten bestehen: Nur in wenigen Riedgebieten wie im Auried FR und im Frauenwinkel SZ hatten die Kiebitze in den vergangenen Jahren einen hohen Bruterfolg. Der Fuchs hat aufgrund der Ausrottung der Tollwut, der Landschaftsveränderungen und möglicherweise aufgrund geringerer Verfolgung bei uns in der Schweiz wie auch in weiten Teilen Mitteleuropas stark zugenommen. 

Im Neeracherried konnten wiederholt Füchse beobachtet werden, wie sie ausgiebig die Weidefläche absuchten. Die Kiebitznester auf dieser Fläche waren wahrscheinlich einer hohen Gefährdung ausgesetzt. 2018 hat BirdLife Schweiz deshalb im Neeracherried etwas Neues ausprobiert: Der Wasserstand wurde Mitte März weniger stark abgelassen als in früheren Jahren (siehe Seite 19). Ziel dieser Massnahme war eigentlich nicht die Förderung des Kiebitzes, sondern die Aufwertung des Flachmoors als Lebensraum allgemein. Der höhere Wasserstand hat aber weitere Effekte: Er macht den Mäusen das Leben schwer – und gros­se Flächen ohne Mäuse, in denen man zudem nasse Füsse kriegt, sind für den Fuchs wenig attraktiv. 2019 soll die Massnahme fortgeführt werden.

Aktive Arbeitsgruppe

Seit 2010 erstellen die Orniplan AG und BirdLife Schweiz mithilfe von zahlreichen Ehrenamtlichen und Partnern eine jährliche Übersicht über den Bestand, den Bruterfolg und die Schutzmassnahmen an allen Kiebitzbrutplätzen der Schweiz. Darauf aufbauend gründeten BirdLife Schweiz und die Vogelwarte 2012 die Arbeitsgruppe Kiebitz Schweiz. Diese hat zu einem guten Erfahrungsaustausch zwischen den verschiedenen Projekten in der Schweiz und den grenznahen Gebieten geführt. Die Daten zeigen aber auch, dass der durchschnittliche Bruterfolg noch zu tief ist. Der Kiebitz wird also mindestens in den nächsten Jahren weiterhin unsere volle Aufmerksamkeit und konsequente Förderungsmassnahmen benötigen. Die Ernennung zum Vogel des Jahres kommt da gerade recht.

Dr. Raffael Ayé ist Leiter des Bereichs Artenförderung bei BirdLife Schweiz.

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