Klima- und Biodiversitätskrise gemeinsam lösen

Biodiversitätsrückgang und Klimawandel umfassend angehen. Die beiden gewaltigen anthropogen verursachten Umweltkrisen gefährden langfristig auch das Überleben der Menschen. Sie beeinflussen sich gegenseitig und sind schlussendlich auf die gleiche Ursache zurückzuführen – unseren nicht nachhaltigen Lebensstil. Umso wichtiger ist es, die beiden Krisen nicht gegeneinander auszuspielen, sondern gemeinsam Lösungen zu entwickeln. Dies macht ein neues Faktenblatt der Akademien der Wissenschaften Schweiz deutlich.


Der Biodiversitätsrückgang und der Klimawandel gefährden langfristig das Überleben der Menschen auf diesem Planeten. Die beiden anthropogen verursachten Krisen sind nur auf den ersten Blick unabhängig voneinander; sie gehen vielmehr Hand in Hand. Wie sie sich gegenseitig beeinflussen und welche Massnahmen gegen beide Krisen wirken, zeigt ein neues Faktenblatt der Akademien der Wissenschaften Schweiz, das den aktuellen Wissensstand zusammenfasst.

Gemäss dem Weltbiodiversitätsrat IPBES gilt der Klimawandel aktuell weltweit als drittstärkste Ursache für den Rückgang der Biodiversität. Umgekehrt beeinflussen die Ökosysteme auch das Klima. So nehmen sie rund die Hälfte der vom Menschen verursachten CO2-Emissionen auf und verlangsamen somit die globale Erwärmung. Die Fähigkeit der Ökosysteme, CO2 aufzunehmen und zu speichern, sinkt allerdings mit zunehmender Degradierung, intensivierter landwirtschaftlicher Nutzung und verstärktem Klimawandel.

In der Schweiz zeigt sich das beispielsweise anhand der organischen Böden. Die ehemaligen Moorböden werden zum grossen Teil landwirtschaftlich genutzt. Durch Entwässerung entweicht der gespeicherte Kohlenstoff kontinuierlich in die Atmosphäre. Den noch verbliebenen Mooren machen lange Trockenperioden und steigende Temperaturen zusätzlich zu schaffen. Gleichzeitig verlieren durch die fortschreitende Degradierung der Moore spezialisierte Arten ihren Lebensraum. 

Wenn die Ökosysteme weiter in gleichem Mass übernutzt werden, schadet das also nicht nur der Biodiversität, sondern beschleunigt auch den Klimawandel. Ohne eine Begrenzung des Klimawandels wiederum lässt sich auch der Biodiversitätsverlust nicht aufhalten. Klima- und Biodiversitätskrise können nur gemeinsam gelöst werden. 

Bekämpfung des Klimawandels kann der Biodiversität schaden

Eine der wichtigsten Massnahmen gegen den globalen Biodiversitätsrückgang ist die Bekämpfung des Klimawandels. Der Schlüssel liegt in der Reduktion des Treibhausgasausstosses. Gewisse Massnahmen können allerdings die Biodiversitätskrise noch verschärfen. So müssen riesige Mengen an fossilen Energieträgern durch erneuerbare Energien ersetzt werden, selbst bei substanziellen Einsparungen beim Energieverbrauch. Ihr Ausbau kann aber zu Konflikten mit der Biodiversitätserhaltung führen. So bringen viele der über 1000 bisher erstellten Kleinwasserkraftwerke, mit denen sich nur etwa 11 % des Stroms aus Wasserkraft erzeugen lassen, massive Beeinträchtigungen der Biodiversität mit sich, da sie oft in bisher ungenutzte Fliessgewässer gebaut wurden. Windenergieanlagen in sensiblen Gebieten beeinträchtigen Lebensraum und Zugrouten von Vögeln und Fledermäusen. 

Der enorme Ausbau erneuerbarer Energien ist aber auch verbunden mit einem gewaltigen zusätzlichen Bedarf an Rohstoffen wie Kupfer, Kobalt, Lithium, Mangan oder Seltenen Erden für Batterien oder Halbleiter, wie sie zum Beispiel für Elektroautos oder für Anlagen zur Gewinnung erneuerbarer Energie nötig sind. Der Abbau dieser Rohstoffe geschieht häufig unter ausbeuterischen Bedingungen und führt zur Zerstörung empfindlicher Ökosysteme. So ist der Fund des bisher grössten Lithiumvorkommens Europas in der für ihre Vogelvielfalt bekannten, aber ökonomisch schwachen Extremadura aus Naturschutzsicht eine schlechte Nachricht. Der Abbau des Lithiums würde zwar Arbeitsplätze schaffen, könnte aber auch einige der bisher extensiv genutzten und artenreichen Gebiete gefährden. Zunehmend unter Druck geraten auch die Lebensräume der Antarktis und der Arktis sowie der Tiefsee, da hier grosse Rohstoffvorkommen vermutet werden.

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Eine Win-win-Lösung: die Fotovoltaik-Anlage wie hier mit artenreicher Dachbegrünung kombinieren. © Contec AG

Aufwertung von Ökosystemen hilft dem Klima und der Biodiversität

Auf dem Weg zu einer postfossilen Gesellschaft wird meist auf die technischen Herausforderungen fokussiert. Doch es darf nicht sein, dass die Energiewende auf Kosten der Biodiversität geschieht. Die Dringlichkeit der einen Krise über die andere Krise zu stellen, ist nicht zielführend. Im Gegenteil – die beiden Krisen müssen integral angegangen werden, wie das Faktenblatt deutlich macht.

Konkret heisst dies, dass in erster Linie Massnahmen zu ergreifen sind, welche beide Krisen gleichzeitig bekämpfen. Massnahmen, welche die jeweils andere Krise verschärfen können, müssen so umgesetzt werden, dass die negativen Auswirkungen so gering wie möglich bleiben. So lässt sich der zusätzliche Druck auf seltene Lebensräume und gefährdete Arten durch den Ausbau der erneuerbaren Energien minimieren, wenn Biodiversitätsanliegen schon bei der Planung der Anlagen stärker einbezogen werden. 

Aktuell verursachen die intensivierte Land- und Forstwirtschaft und andere Landnutzungen weltweit rund einen Fünftel der globalen Treibhausgasemissionen. Gleichzeitig sind sie die wichtigsten direkten Treiber des Biodiversitätsverlusts. Die Abholzung tropischer Regenwälder sowie die Entwässerung und den Abbau von Moorböden zu stoppen, ist deshalb nicht nur eine unverzichtbare Klimaschutzmassnahme, sondern auch für die Erhaltung der Biodiversität absolut zentral.  

Auch die aufwändigere Wiederherstellung von Ökosystemen lohnt sich für beide Bereiche. Klug gemacht, erholt sich die Biodiversität und der Klimawandel wird abgeschwächt, weil sich die Speicherkapazität für Kohlenstoff aus der Luft in Böden und Pflanzen erhöht. Zudem helfen Renaturierungen, die Folgen des Klimawandels abzuschwächen, weil sie dazu beitragen, den Wasserhaushalt zu regulieren, die Temperaturen zu senken und Unwetterschäden zu verringern. Besonders im Siedlungsraum ist offensichtlich, wie offene Wasserflächen und grosse Bäume die Temperatur senken. Weil es dafür auch mehr entsiegelten Boden braucht, werden Abflussspitzen gebrochen und so Schäden durch Starkniederschläge gemindert.

Internationale Verantwortung

Eine weitere Synergie liegt in der Reduktion der Tierbestände. Damit lässt sich der Ausstoss von Treibhausgasen wie Methan und Lachgas verringern. Gleichzeitig können dadurch die heute fast flächendeckend herrschenden übermässigen Stickstoffeinträge reduziert werden, die aktuell massgeblich zum anhaltenden Rückgang der Biodiversität in der Schweiz beitragen. Die damit verbundene Reduktion des Futtermittelimports (v.a. von Soja) mindert nicht nur den Nutzungsdruck auf Regenwälder, sondern wirkt sich auch auf die Nährstoffbilanz der Schweiz positiv aus.

Gleichzeitig muss aber auch der Konsum von Fleisch und Milchprodukten reduziert werden – sonst verlagert sich das Problem einfach ins Ausland. Die Einwohnerinnen und Einwohner der Schweiz konsumieren aktuell pro Kopf und Jahr 52 kg Fleisch, 366 kg Milch (inkl. Milchprodukte) und 8 kg Kaffee (3 Tassen pro Tag). Sie kaufen durchschnittlich jährlich 60 neue Kleidungsstücke, wovon 40 % nie oder nur zwei- bis viermal getragen werden. Würden alle Menschen so leben wie wir, wären 2,8 Erden nötig, um die Weltbevölkerung zu ernähren und mit genügend Ressourcen zu versorgen. Angesichts dieser Zahlen scheint es zumutbar, dass wir alle einen persönlichen Beitrag leisten, den Ressourcenverschleiss zu reduzieren. 

Unser heutiges Konsumverhalten veursacht die meisten Umweltbelastungen im Ausland und nicht im eigenen Land. Wir sind also mitverantwortlich für den Raubbau in den Regenwäldern und den Ozeanen. Doch die Verantwortung der Schweiz geht noch viel weiter: Der Rohstoffhandel und das Finanzmarktgeschäft haben insbesondere über die Bereitstellung von Kapital und die Bewertung von Risiken einen weltweiten Einfluss auf die übrigen Wirtschaftsakteure und somit auch auf deren Klima- und Biodiversitätsauswirkungen.

Den Lebensstil ändern

Beim zweifelsfrei dringenden Ersatz fossiler Energie durch erneuerbare Energien wird der gleichzeitig notwendige gesellschaftliche Wandel bisher meist ausgeklammert. Abgesehen von einer verbesserten Energieeffizienz gehen die Ausbauziele von einem «Weiter wie bisher»-Szenario aus und ignorieren, dass der Klima- und der Biodiversitätskrise ein nicht nachhaltiger Lebenswandel zugrunde liegt. So ist es keine Lösung, Benzin- und Dieselautos einfach durch Elektroautos zu ersetzen, denn dies führt zu einem enormen Ressourcenverbrauch und einem Mehrbedarf an Strom, womit sich die negativen Auswirkungen auf Umwelt und Natur kaum reduzieren. Es gilt, Mobilität und damit auch Raumplanung neu zu denken. Die ökologische Tragfähigkeit der Erde setzt dem auf stetig steigendem Ressourcenverbrauch basierenden Wirtschaftssystem Grenzen; «Weiter wie bisher» ist deshalb keine Option. 

Kurz- und mittelfristige Massnahmen zum Schutz von Biodiversität und Klima sind wichtig und dringlich, doch sie werden nicht ausreichen. Es ist die grosse Herausforderung unserer Generation, Lebensweisen zu entwickeln, mit denen wir auf einer endlichen Welt nach ökologischen Grundprinzipien haushalten. Nicht umsonst leitet sich das Wort «Ökologie» aus dem altgriechischen «oikos» (Haushalt) und «logos» (Lehre) ab; es ist also auch die «Lehre vom Haushalt». Gemäss IPBES und IPCC führt längerfristig der einzige Weg über einen gesellschaftlichen Wandel, der zu einem Handeln führt, das die ökologische Tragfähigkeit der Erde respektiert.

Dr. Sascha A. Ismail ist wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Forum Biodiversität Schweiz der Akademie für Naturwissenschaften (SCNAT) und leitete die Arbeiten am erwähnten Faktenblatt.

IPBES und IPCC: Weltbiodiversitäts- und Weltklimarat

Die beiden unabhängigen zwischenstaatlichen Organe stellen wissenschaftlich fundierte Informationen als Entscheidungshilfe für die Politik zur Verfügung. Unter anderem erarbeiten sie globale Zustandsberichte zur Biodiversität und zum Klima. Während IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) bereits seit 1988 existiert, wurde IPBES (Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services) erst 2012 ins Leben gerufen. Ende 2020 fand ein gemeinsamer Workshop mit 50 der weltweit führenden Biodiversitäts- und Klimaexpertinnen und -experten statt – ein wichtiger Schritt in der Zusammenarbeit zwischen der weltweiten Klima- und Biodiversitätsgemeinschaft. Der Workshopbericht zeigt, dass sich der Nutzen für die Menschheit maximieren lässt, wenn Natur und Klima gemeinsam geschützt werden. 

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