Es ist zu schaffen

Konkrete Lösungen für die Energiewende. Ende Juni hat die Umweltallianz ihr zweites Szenario für die Energiewende präsentiert. Es zeigt konkret, wie die Energiewende biodiversitätsfreundlich zu schaffen ist. Das weitaus grösste Ausbaupotenzial besteht bei der Photovoltaik auf und an Gebäuden und Infrastrukturen. Sehr wichtig sind zudem Suffizienz, Energieeffizienz, saisonale Energiespeicher und eine frühzeitige und detaillierte Berücksichtigung der Biodiversitätswerte in der Planung. Gut gemacht, ist die naturverträgliche Energiewende ein Gewinn, auch für das Klima und die Biodiversität.


Die Umweltallianz, zu der BirdLife Schweiz als Kooperationspartner gehört, hat Ende Juni das Szenario «Sichere Schweizer Energieversorgung 2035» präsentiert. Es zeigt auf, wie die Energiewende in der Schweiz biodiversitätsverträglich zu schaffen ist. Von allen sechs Organisationen der Umweltallianz – BirdLife Schweiz, Greenpeace, Schweizerische Energiestiftung, Pro Natura, VCS und WWF – flossen die Fachkenntnisse und Schwerpunkte ein.

Die Biodiversitäts- und die Klimakrise sind die grössten Bedrohungen für die Lebensgrundlagen der Menschheit. Beide sind mensch­gemacht und verstärken sich gegenseitig. Intakte Ökosysteme wie alte Wälder, Moore und trockenes Grasland speichern grosse Mengen CO2. Beeinträchtigte Ökosysteme hingegen speichern weniger CO2 und werden teils sogar zu CO2-Quellen, womit die Klimakrise beschleunigt wird. Artenreiche Ökosysteme und Lebensräume wirken bei Extrem­ereignissen, die mit der Klimakrise häufiger werden, stabilisierend. Sie können bei Extremniederschlag mehr Wasser speichern, Erosion reduzieren oder andere Ökosystemleistungen wie die Bestäubung unter verschiedenen Bedingungen erhalten. Die Klimakrise wiederum trägt neben intensiver Landwirtschaft, Zersiedelung und Zerschneidung von Lebensräumen zum Biodiversitätsverlust bei. Gerade deshalb ist es unabdingbar, beide Krisen gemeinsam anzugehen statt sie gegeneinander auszuspielen, wie die Politik dies in der Vergangenheit allzu oft getan hat.

Die wichtigsten Elemente

Damit die klima- und naturverträgliche Energiewende gelingt, braucht es mehrere Massnahmen gleichzeitig: Die Energieverschwendung muss gestoppt, die Energie­effizienz erhöht, ein geeigneter Energiemix mit viel Photovoltaik gewählt und die Biodiversität in den Pla­nungsprozessen früher und mit besserer Datengrundlage berücksichtigt werden.

Die billigste und naturverträglichste Energie ist die eingesparte Energie: Sie produziert kein CO2 und verursacht keinen Abfall. Etwa ein Drittel des Stromverbrauchs geht auf Verschwendung zurück: Er entsteht durch Geräte im Stand-by-Modus, schlecht isolierte Gebäude, unnötige Beleuchtung oder Industrie- und Gewerbeunternehmen, die ihr Strom­sparpotenzial nicht nutzen. Wenn zudem Öl- und Gasheizungen durch Wärmepumpen und Benziner durch E-Autos ersetzt werden, können wir die Energieeffizienz mindestens um den Faktor 3 erhöhen. Der Motor eines Elektroautos weist einen Wirkungsgrad von 70 bis 80 % auf, beim Benzinmotor liegt dieser bei 20 bis 25 %. Allerdings ist auch ein bewussterer Umgang mit Mobilität nötig. 

Energie Photovoltaik
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Das Poten­zial für Photovoltaik auf Gebäuden ist riesig. Neben solchen Anlagen braucht es mehr Stromspeicher für Zeiten ohne Sonne. © Serbek/iStock. Links: BirdLife Schweiz

Sonnenstrom machts möglich

Um Öl, Gas, Kohle und Uran in unserem Energiemix zu ersetzen, braucht es grosse Mengen Strom. Decken kann diesen Strombedarf ein ausgewogener Mix aus einheimischen erneuerbaren Energieträgern, die natur- und umweltfreundlich genutzt werden. 

Das weitaus grösste ungenutzte Potenzial besteht bei der Solarenergie. Sie ist kostengünstig und kann auf existierenden Infrastrukturen installiert werden, womit sie die Natur schont. Gemäss offiziellen Schätzungen des Bundesamts für Energie (BFE) besteht auf den vorhandenen Dächern und an den Fassaden schweiz­weit ein Photovoltaik-Produktionspotenzial von 67 Terawattstunden (TWh) pro Jahr. Noch nicht mit eingerechnet ist das jährliche Potenzial von 15 TWh auf bestehenden Infrastrukturen wie Staumauern, Lärmschutzwänden oder Stützmauern von Strassen. Zusammen ergibt das ein Produktionspotenzial von 82 TWh pro Jahr. Das ist mehr Elektrizität als die Schweiz heute braucht oder 2035 brauchen wird – trotz Dekarbonisierung des Verkehrs und der Industrieprozesse!

Ein häufig gehörtes Argument ist, dass dieses Potenzial wegen Auflagen des Denkmal- und Heimatschutzes nicht nutzbar sei. Tatsache ist, dass nur wenige Prozent aller Gebäude denkmalgeschützt sind und selbst bei schutzwürdigen Gebäuden mit farblich angepasster Photovoltaik oft Lösungen möglich sind. Zudem hat das BFE bei seinen Berechnungen die wenigen Prozent schutzwürdiger Dächer bereits abgezogen.

Durch eine Energiewende werden bis 2050 Klima- und Gesundheitskosten von 150 Milliarden vermieden.

Weitaus wichtiger ist, dass aufgrund von Renovationszyklen und der Lebensdauer der Gebäude nicht das gesamte Potenzial kurzfristig genutzt werden kann. Hier rächt es sich, dass der Bund den Ausbau der privaten Photovoltaik auf Eigenheimen bisher zu zögerlich gefördert hat, und dass in vielen Kantonen lange Wartelisten für Subventionen die Investoren abgeschreckt haben. Trotz dieser Fehler ist der Solarausbau in den letzten Jahren angelaufen. Jetzt braucht es eine echte Solaroffensive, um bis ins Jahr 2035 rund 30 TWh pro Jahr zu produzieren. Verschiedene Speichertechnologien helfen, einen Teil der Elektrizität im Sommer zu speichern und ins Winterhalbjahr hinüberzunehmen, insbesondere Speicherwasserkraft.

Sorgfältige Planung

Die Umweltallianz begrüsst, dass Verfahren zur Bewilligung von Produktionsanlagen für erneuerbare Energien effizienter gemacht werden. Das beschleunigt den für die Energiewende nötigen Ausbau. Damit dies gelingt, muss früh abgeklärt werden, ob sich die potenziellen Standorte für Wind, Wasserkraft und Photovoltaikanlagen mit den Zielen des Biodiversitäts- und Landschaftsschutzes vereinbaren lassen. Hier ist die Richtplanung in vielen Kantonen bisher ungenügend. Erhebungen zur Biodiversität beinhalten oft nur Schutzgebiete und lassen bei bedrohten Arten zu wünschen übrig. Häufig erfolgt die Interessenabwägung auch einseitig zulasten der Natur. Die eigentliche Umweltverträglichkeitsprüfung findet nach aktueller Gesetzgebung erst auf der letzten oder vorletzten Stufe des Verfahrens statt. Investoren können daher erst spät einschätzen, ob ihre Projekte grundsätzlich bewilligungsfähig sind.

Eine nationale Sicht ist sehr wichtig bei der Planung von erneuerbaren Energien wie auch beim Erhalt der Biodiversität. Für den Schutz der Biodiversität müssen die Vorkommen gefährdeter Arten ausreichend detailliert untersucht werden. Kumulieren sich die Auswirkungen auf die Biodiversität von mehreren Standorten, muss das in die Bewertung einflies­sen, auch kantonsübergreifend. Parallel und ebenfalls mit grosser Dringlichkeit muss die Ökologische Infrastruktur als Netzwerk von Schutzgebieten für die Biodiversität auf- und ausgebaut werden.

Politik steht in der Verantwortung

Biodiversität und Klima sind Allgemeingüter. Deshalb hat die Politik bei ihrem Schutz eine Schlüsselrolle zu spielen. Durch eine rasche Energiewende werden bis 2050 Klima- und Gesundheitskosten von mindestens 150 Milliarden Franken vermieden. Die nötigen Netto-Aufwendungen sind mit 55 Milliarden Franken deutlich tiefer. Sie schaffen zusätzlich Wertschöpfung und Arbeitsplätze. Allein die Kosten des Biodiversitätsverlusts werden bis 2050 auf 2 bis 2,5 % des Bruttoinland­produkts geschätzt, also rund 14 bis 16 Milliarden pro Jahr. Durch Schutz und wirksame Förderung der Biodiversität werden diese Kosten vermieden. Es bleibt viel zu tun.

Dr. Raffael Ayé ist der Geschäftsführer von BirdLife Schweiz. Christa Glauser ist stellvertretende Geschäftsführerin.

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