Ein Jahrzehnt Kiebitz-Hilfe

Kiebitzprojekte im Frauenwinkel und Nuoler Ried. Der Kiebitz ist heute aufgrund des Lebensraumverlusts hier­zulande stark gefährdet. Nur dank Artenförderungsprojekten kann er in verstreuten Kolonien noch überleben. Am oberen Zürichsee greift die Stiftung Frauenwinkel dem Watvogel seit zehn Jahren unter die ­Flügel. BirdLife Schweiz hat die Stiftung mitbegründet.


Als bodenbrütende Art besteht für den Kiebitz die ständige Gefahr, dass seine Gelege oder Jungvögel Fressfeinden wie dem Fuchs zum Opfer fallen. Noch problematischer ist jedoch, dass der Watvogel mangels natürlicher Lebensräume (offene, niedrige Flachmoore) auf landwirtschaftliche Flächen ausweicht, welche meist intensiv bewirtschaftet werden. Als ob dies nicht schon Herausforderung genug wäre, kommen die immer häufiger auftretenden trockenen Sommer hinzu, welche die Nahrungssuche der Jungvögel massgeblich erschweren. Daher betreibt die Stiftung Frauenwinkel ein Förderprogramm in den Naturschutzgebieten Frauenwinkel bei Pfäffikon SZ am Zürichsee und Nuoler Ried am Obersee.

Hudern © Wendelin Kessler

Bei Kälte und Regen wärmen die Eltern die Küken. © Wendelin Kessler

Schutz vor Prädatoren und Aufwertungen

Seit 2013 setzt die Stiftung Frauenwinkel in Zusammenarbeit mit dem Amt für Wald und Natur des Kantons Schwyz, der Genossame Wangen und BirdLife Schweiz erfolgreich Massnahmen zum Schutz des Kiebitzes um. Zum einen werden jährlich mehrere Kilometer unter Strom stehende Schutzzäune aufgestellt, um die Gelege und Jungvögel bestmöglich vor Bodenprädatoren zu schützen. Zum anderen werden sämtliche Landwirtschaftseinsätze in den beiden Brutgebieten begleitet, um zu verhindern, dass Gelege oder Jungvögel überfahren werden.

Zusätzlich sind sogenannte «Birdalerts» im Einsatz. Es handelt sich dabei um eine akustische Krähenabwehr, welche die Hauptgefährdung aus der Luft – die Rabenkrähe – von Gelegen und Jungvögeln fernhalten soll.
BirdLife konnte die Krähenabwehr bereits früher erfolgreich einsetzen, und auch im Nuoler Ried und Frauenwinkel zeigte sie Wirkung.

Neben diesen direkten Schutzmassnahmen setzt die Stiftung auch auf eine Aufwertung der Lebensräume, um bessere Brutbedingungen für den Kiebitz zu schaffen. Dass die Massnahmen funktionieren, zeigen die Zahlen zu Brutpaaren und flüggen Jungvögeln, die seit Beginn des Projekts 2013 deutlich gestiegen sind.

Gelege © Stiftung Frauenwinkel
Das Gelege besteht aus vier braunen, schwärzlich gefleckten Eiern. © Stiftung Frauenwinkel
Pulli © René Effinger Kopie
Die Kiebitzküken – die sogenannten Pulli – gehen vom ersten Tag an selbstständig auf Nahrungssuche. © René Effinger

Die Brutsaison 2023

In der Brutsaison 2023 wurden insgesamt 5,8 km Elektrozäune aufgestellt, die eine Fläche von gut 30 ha schützen. Die Begleitung der landwirtschaftlichen Bewirtschaftungseinsätze war auch letztes Jahr die wichtigste Massnahme zum Schutz der Gelege und Jungvögel. Dafür musste das Brutgeschehen mitverfolgt werden, um einen Überblick über die Anzahl Brutpaare, Gelege und geschlüpften Jungvögel zu haben. Entdeckte Gelege wurden markiert. Die Landwirte informierten die Mitarbeitenden der Stiftung vor geplanten Landwirtschaftsarbeiten, damit diese die Flächen nach nicht markierten Gelegen und Jungvögeln absuchen konnten. Gelege wurden mit Plastikbecken abgedeckt, Jungvögel vorübergehend von den Flächen vertrieben oder kurzzeitig in Kisten gesetzt, wenn ein Vertreiben nicht möglich war.

Letztes Jahr setzte die Stiftung im Nuoler Ried in Zusammenarbeit mit dem Kanton Schwyz, BirdLife Schweiz, der Genossame Wangen (Grundeigentümerin) und den Landwirtinnen und Landwirten zudem erstmals eine spezielle Saatmischung auf insgesamt 4,5 ha ein, um geeignete Brutflächen für den Kiebitz und andere seltene Vogelarten zu schaffen. Die von BirdLife entwickelte und bereits zuvor erfolgreich verwendete Mischung wächst lückig – so wie es der Kiebitz bevorzugt – und wird erst nach der Brutsaison bearbeitet. Die Bewirtschafterinnen und Bewirtschafter dieser Förderflächen erhalten dafür den entsprechenden finanziellen Ausgleich vom Kanton.

Damit die Jungvögel auch in trockenen Sommern genügend Nahrung finden, wurden einige Brutflächen mit solarbetriebenen Pumpensystemen bewässert. Im Frauenwinkel wurde zudem der Wasserrückhalt im Flachmoor mit Stautafeln in den Entwässerungsgräben verbessert. Eine Massnahme, von der nicht nur der Kiebitz, sondern das gesamte Moor und seine Bewohner profitieren.

Traktor Und Gelege © Stiftung Frauenwinkel
Ein Traktor umfährt ein Kiebitz-Gelege, das markiert und mit einem Plastikbecken abgedeckt wurde. © Stiftung Frauenwinkel
Küken In Kiste @ Stiftung FW(1)
Drei Pulli im Plastikbecken. © Stiftung Frauenwinkel

Nasser Frühling und wertvolle Förderflächen

Aufgrund der niederschlagsreichen Witterung im Frühling konnten die Landwirte 2023 ihre Flächen erst sehr spät bewirtschaften. Für die Kiebitze war dies ein Segen, weil sie selten gestört wurden. Vereinzelt schlüpften Jungvögel sogar, bevor die Flächen zum ersten Mal befahren werden konnten.

Obwohl die neu angelegten Förderflächen teilweise zu dicht und zu hoch wuchsen, können sie als Erfolg gewertet werden. Ihr grösster Vorteil besteht darin, dass sie erst nach dem Brutgeschäft befahren werden. Ausserdem bieten sie den Kiebitzen Rückzugsorte bei Landwirtschaftsarbeiten auf benachbarten Flächen, Schutz vor Sonne sowie eine grössere Nahrungsvielfalt. Da die Flächen während der Brutsaison nicht bewirtschaftet werden, stellen auch die Bewässerung und die feuchten Böden aus landwirtschaftlicher Sicht kein Problem dar. Für die Kiebitzküken, die vom ersten Tag an selbstständig auf Nahrungssuche gehen, können sie jedoch überlebenswichtig sein.

Die Förderflächen kamen neben dem Kiebitz auch zahlreichen weiteren Vogelarten zugute. Dazu gehören die gefährdete Feldlerche und Wachtel sowie, besonders erfreulich, die vom Aussterben bedrohte Grauammer.

Zaunarbeiten © Stiftung Frauenwinkel

Die Schutzzäune müssen regelmässig kontrolliert werden. © Stiftung Frauenwinkel

Erfreulicher Schlupferfolg

Die Anzahl Brutpaare in den beiden Schwyzer Kiebitzkolonien lag mit insgesamt 23 Paaren zwar weit unter dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre (36). Mit 30 flüggen Jungvögeln und einer Quote von 1,3 Flügglingen pro Brutpaar übertraf der Bruterfolg über beide Brutgebiete gesehen den Fünfjahresschnitt aber deutlich. Auch das bestandserhaltende Minimum von 0,8 flüggen Jungvögeln pro Paar wurde insgesamt übertroffen.

Aus den gesammelten Daten geht hervor, dass die kleine Population im Frauenwinkel besonders stark auf die Fördermassnahmen der Stiftung Frauenwinkel angewiesen ist. Der ausserordentlich hohe Bruterfolg im Nuoler Ried ist einerseits dem nassen Frühling und den dadurch lange ausbleibenden Landwirtschaftsarbeiten zu verdanken.

So erfreulich die Bestandsentwicklung insgesamt ist: Der Druck auf die Kiebitze bleibt hoch und die Kolonien sind weiterhin auf Hilfe angewiesen.

Andererseits haben auch die verschiedenen Schutz- und Fördermassnahmen, die gute Zusammenarbeit mit den Bewirtschafterinnen und Bewirtschaftern sowie der unermüdliche Einsatz der Mitarbeitenden und Zivildienstleistenden der Stiftung Frauenwinkel und diverser ehrenamtlicher Helferinnen und Helfer zum Erfolg beigetragen.

So erfreulich die Bestandsentwicklung insgesamt ist: Der Druck auf die Kiebitze bleibt hoch und die Kolonien sind weiterhin auf Hilfe angewiesen, um überleben und wachsen zu können. Die partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten und die Ausweitung der Förderflächen im Nuoler Ried von 4,5 auf 6 ha stimmen jedoch optimistisch für die Zukunft und die Weiterentwicklung des Projekts.

Martina Gabay leitet das Kiebitz-Projekt der Stiftung Frauenwinkel. Fabian Rätz war 2023 zusammen mit Melanie Bischof massgeblich für die Feldarbeit und Datenerhebung zuständig.

Spenden

Die Subventionen von Bund und Kanton decken nur einen Teil der Kosten, sodass die Stiftung Frauenwinkel auf zusätzliche Spenden angewiesen ist, um das Kiebitzprojekt betreiben zu können:
Schwyzer Kantonalbank, zug. Stiftung Frauenwinkel, 8856 Tuggen; IBAN: CH12 0077 7004 7425 5454 9; Vermerk «Kiebitz». Danke!

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