«Das war besser als der Gewinn des Cupfinals!»

Hanspeter Latour, der bekannte Schweizer Fussballtrainer, ist seit der Pensionierung ein leidenschaftlicher Naturbeobachter und -fotograf. Für sein Buch «Das isch doch e Schwalbe!» hat er akribisch untersucht, was im hinteren Eriztal an Tieren und Pflanzen vorkommt. Das Werk ist eine Hommage an die Natur und will die Menschen dafür gewinnen, besser hinzuschauen und auf die Umwelt mehr Rücksicht zu nehmen.


Hanspeter Latour weiss, wie man Geschichten erzählt. Und wie man Menschen motiviert. Das hat er schon als Trainer und als Kommentator bewiesen, später auch als Vortragsredner. Jetzt, als Pensionär, erzählt er noch immer Geschichten. Aber nicht über Fussball, sondern über die Natur. Seit 2014 hat er sein Leben der heimischen Natur verschrieben und ein Buch darüber verfasst. Im Werk «Das isch doch e Schwalbe!» erzählt er über seine Ausflüge in die Natur im hinteren Eriztal nördlich des Thunersees. Zwei Jahre lang hat er beinahe täglich dokumentiert, welche Arten dort vorkommen, und auch nach Herausgabe des Buches 2016 nicht damit aufgehört. Im Buch erzählt er über seine Erlebnisse mit Wieseln, Neuntötern oder Grasfröschen und verrät, warum seine Frau ihn sicher nicht zum Essen rufen soll, wenn er gerade eine Goldammer vor der Linse hat. Ornis hat den Kommunikationsprofi mit dem gemütlichen Berner Dialekt getroffen.

Sie haben sich ein Leben lang dem Fussball gewidmet. Heute aber steht die Natur im Fokus. Wie kam es dazu? 

Die Natur faszinierte mich schon als Kind. Mein Vater war ein Naturkundler und Vogelliebhaber. Er nahm mich auf seine Exkursionen mit und ich kannte schon bald viele Vogelarten. Als ich mit 12 Jahren in den Fussballverein eintrat, blieb die Natur leider auf der Strecke. Erst mit der Pensionierung änderte sich das, und ich nahm mir vor, ein Naturprojekt zu machen. Das war schon lange mein Traum. Ich bin halt ein Typ, der immer ein Projekt braucht.

Was war denn Ihre Projekt-Idee?

Wir haben an unserem Zweitwohnsitz im Eriztal einen Naturgarten mit einem Biotop. Das Projekt war nun, herauszufinden, was in einem Radius von einem Kilometer rundherum an Tieren und Pflanzen vorkommt. Als Beleg wollte ich möglichst viele Spezies fotografieren. Als ich die Idee meinem Buchverlag erzählte, schlug der sofort vor, ein Buch daraus zu machen. 

Sie gaben sich nur zwei Jahre, um das Projekt durchzuführen. Sie scheinen ziemlich ehrgeizig zu sein...

Ja, ich habe in den zwei Jahren nur noch das gemacht. Es ist wie im Profifussball: Entweder du bist voll dabei oder halt gar nicht. Ich war jeden Tag draussen. «Fleiss, Mut und Glück», ist mein Motto. Alles Glück nützt nichts, wenn man nicht auch fleissig und mutig ist. Ich wollte einfach alle Arten vor die Linse bekommen, und wenn mir eine Art fehlte, dann fuchste es mich. Den Iltis zum Beispiel, den habe ich im Garten, aber ein Foto ist mir noch nicht gelungen.

Dafür haben Sie viele andere wunderbare Aufnahmen gemacht. 

Ich konnte sicher 80 Vogelarten fotografieren, darunter den Fichtenkreuzschnabel, den Wendehals oder sogar den Regenbrachvogel. 12 Libellenarten habe ich gefunden, seltene Käfer. Ganz speziell für mich war aber, dass ich das Mauswiesel vor die Linse bekam. Viele Leute wissen ja nicht, dass es neben dem Hermelin noch eine zweite Wiesel-Art gibt...

Wie konnten Sie das Foto schiessen?

Wissen Sie, ich verstehe nicht viel von Fotografie. Ich fotografiere immer mit der gleichen Einstellung. Aber ich habe gelernt, dass man immer vor den Tieren an einem Ort sein muss. So war es auch beim Mauswiesel. Ich kannte einen Ort mit naturnahen Strukturen, da dachte ich mir, dort muss das Tier doch vorkommen. Also setzte ich mich eine Stunde lang hin. Und siehe da, tatsächlich kam ein Mauswiesel hervor, zwei Meter vor mir! Da hatte ich Glücksgefühle, das können Sie sich nicht vorstellen. Das war noch besser, als wenn ich den Cupfinal gewonnen hätte!

Ihr Kommunikationstalent ist legendär. Beim Beobachten der Natur sind aber Geduld und Ruhe gefragt... 

Ja, jetzt lerne ich im Alter noch das Schweigen. Die Leute sagen mir immer, das kannst du nicht, da kommst du auf kein Niveau. Aber Geduld ist beim Fotografieren das Wichtigste. Ich will die Vögel auch nicht stören.

LA Gimpel
LA Abendpfauenauge
Bilder aus Hanspeter Latours Buch: Gimpel, Abendpfauenauge. © Hanspeter Latour

Was wollten Sie mit dem Buch bezwecken? 

Ich möchte, dass die Leute Freude haben an den Bildern und den Geschichten. Das sind keine Wahnsinns-Geschichten, die könnte jeder erleben. Aber sie öffnen die Augen für das, was es rund um uns gibt. So achten sich die Leute vielleicht auch selber besser und tragen der Natur mehr Sorge. Heute wird ja jede Laus und jede Raupe totgespritzt. Das muss nicht sein. Man kann im Garten auch einen Ast- und einen Steinhaufen aufschichten. Jeder kann selber etwas beitragen. Mit meinem Buch will ich die Leute sensibilisieren. 

Wo haben Sie sich Ihr grosses Wissen über die Natur angeeignet?

So viel Wissen ist das gar nicht. Die Vogelstimmen zum Beispiel kenne ich nicht so gut. Ich erkenne die Vögel viel besser optisch. Ich habe aber viele Bücher und bin langjähriger Abonnent von Ornis. Ich besuche zudem regelmässig das BirdLife-Naturzentrum La Sauge, bin in der Entomologischen Gesellschaft Bern und kenne mehrere Experten und Professoren. Einige von ihnen kommen regelmäs­sig zu mir ins Inner­eriz, das ist wahnsinnig spannend.

Sie halten inzwischen auch viele Vorträge über die Natur. Wie gross ist das Interesse?

Früher habe ich ja Vorträge über Motivation und Teamführung gemacht. Da konnte ich vor grossen Firmen sprechen, die Honorare waren gut. Heute mit den Naturvorträgen ist das anders. Die Leute rufen mich zwar noch immer an und wollen einen Vortrag. Aber der soll bitte über den Fussball oder über Motivation sein. Ich will aber keine solchen Vorträge mehr halten. Mir ist die Natur jetzt wichtiger. Dann mische ich halt manchmal die Themen und erzähle Geschichten aus meinem Fussball- und meinem Naturbuch. Doch ich merke: Nicht alle Menschen interessieren sich sehr für die Natur. Deswegen sind die Honorare jetzt kleiner, die Vorträge ein Nullsummenspiel. Wenn man pensioniert ist, kann man das machen. 

Worauf haben Sie beim Bau des Naturgartens und des Biotops geachtet? 

Ich habe das Biotop primär für die Natur gemacht. Einen kleineren Teich hatte ich schon länger, dann haben wir ein grosses Biotop realisiert. Das war dann im Fall gar nicht billig. Aber nun überwintern im Teich immer Grasfrösche, weit mehr als hundert...

Meinen Sie nicht Wasserfrösche?

Nein, es sind Grasfrösche! Die bleiben den Winter über in der Tiefwasserzone. Ich achte stets darauf, dass nicht das ganze Wasser zufriert – denn einmal waren viele Frösche tot, das soll nie mehr passieren.

Haben Sie den Eindruck, es gehe der Natur in der Schweiz gut? 

Nein, die Natur hat auf jeden Fall Unterstützung nötig. Man muss sie schützen, wo es sie noch gibt, und man muss auch neue Strukturen schaffen. Zudem braucht es bessere Kontrollen, auch bei den Bauern. Ich kenne viele Bauern, viele machen es gut, aber manchmal muss ich den Kopf schütteln. Ich gehe dann auf die Bauern zu und rede mit ihnen. Das habe ich im Fussball gelernt – da musste ich auch ohne Umschweife sagen, was Sache ist. Wer spielen darf und wer auf der Ersatzbank bleibt.

Was haben Sie denn mit den Bauern schon erlebt?

Man sieht es ja, alles wird immer intensiver, die Bauern machen heute zwei Grasschnitte mehr als früher, und überall wird gedüngt, bis weit nach oben. Was das für die Natur bedeutet, ist klar. Auf den Alpweiden haben sie auch schon die Büsche abgebrannt, genau zur Brutzeit des Neuntöters. Aber es gibt auch andere, so wie der Nationalrat Andreas Aebi im Emmental, der kennt die Feldlerchen und hat Schleiereulen. Er fördert die Natur und kann trotzdem gut leben.

Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie die vielen Hiobsbotschaften aus dem Naturschutz lesen?

Es dünkt mich schon, dass die Menschen mehr Rücksicht auf die Natur nehmen müssen. Ich bin gegen alles Extreme, aber das ist klar: Es braucht mehr Verständnis für die Natur. Es freut mich, wenn jetzt auch der Bär wieder kommt; ein Kollege konnte ihn im Innereriz fotografieren. Das war seit 194 Jahren der erste Bär im Kanton Bern! Einige haben Angst, andere nicht. Ich kenne einen Imker, der hat sich gefreut und gesagt, er könne das Bienenhaus ja sichern. Da habe ich ihm einen Franken mehr gegeben für den Honig.

Sie sind ein Meister darin, andere für etwas zu begeistern. Wie kann man Menschen für den Naturschutz motivieren?

Die Menschen sollen die Natur selber erleben. Das ist das Wichtigste. Ornis macht das gut, mit den schönen Bildern. Man muss gar nicht immer ins kleinste Detail gehen oder alles Negative aufzählen, die Leute lesen schon genug. Aber die Leute immer wieder ansprechen, sie für die Natur begeistern, das ist wichtig. Viele Leute sagen, sie seien naturverbunden. Aber im Alltag ist dann alles andere doch wieder wichtiger.

Woher kommt das?

Das beginnt schon in der Schule. Die Kinder kennen heute nicht mal mehr den Hausrotschwanz. Auch im Eriztal nicht. Später zählt dann nur noch die Karriere und das Geld. Die meisten Leute kennen die Natur nicht mehr. Ich habe auch den Landschaftsgärtnern schon gesagt: Ihr wisst viel und seid gut, aber ihr versteht zu wenig von der Natur, ich muss es euch sagen. 

Da ist es gut, dass Sie als Botschafter der Natur durch die Schweiz touren. 

Ich versuche meinen Teil beizutragen, ja. Wissen Sie, in der Wirtschaft gibt es immer mehr Burn-outs, und die betroffenen Leute werden immer jünger. Denen möchte ich aufzeigen: Wer in die Natur geht und zum ersten Mal ein Mauswiesel sieht, der hat kein Burn-out, das können Sie mir glauben! Der schüttet so viele Glückshormone aus, das hält sehr lange.

Stefan Bachmann und Dr. Daniela Pauli bilden die Redaktion von Ornis.

Das Buch «Das isch doch e Schwalbe!» enthält in einem ersten Teil 47 unterhaltsame Geschichten über Latours Erlebnisse in der Natur. Der zweite Teil besteht aus Bildseiten und dokumentiert die Artenvielfalt im Innereriz. (Weber Verlag, 328 Seiten, 450 Abbildungen)
Hanspeter Latour

Hanspeter Latour (70) war ein erfolgreicher Torwart und Fussballtrainer, letzteres beim FC Thun, den Grasshoppers oder beim 1. FC Köln. Er war Fussball-Kommentator und verdiente sein Geld später mit Vorträgen. «Das isch doch e Schwalbe!» ist nach «Das isch doch e Gränni!» sein zweites Buch. Latour ist verheiratet und hat zwei Kinder.

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