Das Lebensnetz der Dunkelheit

Ökologische Infrastruktur für Nachtaktive. Künstliches Licht hat der Menschheit zahlreiche Vorteile gebracht. Doch die vielerorts übermässige nächtliche Beleuchtung ist zur weltweiten Verschmutzung geworden und hat störende Auswirkungen auf Mensch und Natur. Insbesondere nachtaktive Tiere wie Insekten und Fledermäuse, aber auch Vögel leiden. Für die Ökologische Infrastruktur ist es deshalb wichtig, dass Lichtstörungen reduziert werden und ein dunkles Lebensnetz geschaffen wird.


Nachts herrscht um die Strassenlaternen emsiges Treiben. Scharen von Insekten flattern und summen um die Lichtquellen, das weltweite Insektensterben scheint weit weg. Und doch ist es so nah: Nach Schätzungen sterben durchschnittlich um die 150 Insekten pro Nacht an einer einzigen Strassenlampe. Für eine Stadt wie Zürich mit mehr als 50 000 installierten Lampen bedeutet das rund 7,5 Millionen Insekten, die in jeder Sommernacht so zu Tode kommen. Diese Verluste kommen zu jenen hinzu, die verursacht sind durch die intensive Landwirtschaft mit ihrem Einsatz von Pestiziden und Düngern, die fehlenden Strukturen sowie die Siedlungs- und Infrastrukturentwicklung. Die Verluste sind fatal für zahlreiche Insektenarten; zudem fallen die Sechsbeiner auch als Nahrung für andere Tiere aus.

Störungen durch Licht sind eine grosse Bedrohung für viele Arten. Für den gesamtheitlichen Schutz der Biodiversität ist es deshalb wichtig, Flächen und Korridore ohne Lichtstörungen zur Verfügung zu stellen. Diese dunklen Lebensräume müssen auch ein wichtiger Bestandteil der vom Bundesrat 2012 beschlossenen Ökologischen Infrastruktur werden. Bis 2040 sollen durch dieses Lebensnetz für die Biodiversität schweizweit Schutz- und Vernetzungsgebiete ergänzt und aufgewertet werden. Die Grundlage für die Ausweisung dieser Gebiete müssen die Ansprüche der Artengemeinschaften an ihre Umwelt sein, denn sie sind gegeben und nicht verhandelbar. 

Da sich die Lebensraumansprüche stark zwischen den Artengemeinschaften unterscheiden, gilt es auch, entsprechend unterschiedliche Lebensraum-Ebenen zu berücksichtigen. Unter der «Dunkelblauen Ebene» etwa sind stehende Gewässer und Feuchtgebiete zusammengefasst, die «Dunkelgrüne Ebene» enthält Naturwaldflächen und Althölzer. Aber auch eine «Dunkle Ebene», bestehend aus Lebensräumen ohne Lichtstörungen, muss geplant und eingerichtet werden. Sie ist besonders wichtig für all die nachtaktiven Arten, die immerhin rund 30 % aller Wirbeltiere und mehr als 60 % der Wirbellosen ausmachen. 

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Nachtaktive Tiere verändern wegen der Lichtverschmutzung ihr Verhalten. Eintagsfliegen – im Bild die Dänische Eintagsfliege – werden von Strassenlaternen magisch angezogen. Das Braune Langohr ist eine Fledermaus, die besonders empfindlich auf die zunehmende Lichtverschmutzung reagiert. © Phil Savoie/naturepl.com, Stefan Greif

Wenn die Nacht zum Tag wird

Der «Verlust der Nacht» bringt verschiedenste negative Folgen für die Tierwelt mit sich. Das punktuelle Anziehen von nachtaktiven Insekten zu einer Lichtquelle ist hierbei nur ein Aspekt. Es kann auch zu weitergreifenden Änderungen im Verhalten und der Ökologie führen. Bei grossen Nachtfaltern wird etwa vermutet, dass die weit sichtbare Lichtglocke von Städten wie eine ökologische Falle wirkt und Nachtfalter aus den natürlichen Lebensräumen der ländlichen Umgebung anzieht. Auch bei anderen Tiergruppen kann sich die Artenzusammensetzung ganzer Gebiete verändern.  

Beobachtet wird dabei zudem die Verringerung der Überlebenschancen auf mehreren Ebenen. So können sich zum Beispiel die Fitness oder der Fortpflanzungserfolg der Tiere ändern oder sie werden zu leichterer Beute von Fressfeinden. Auch die Bestäubung durch nachtaktive Insekten ist in beleuchteten Gebieten im Vergleich zu dunklen Kontrollflächen  deutlich reduziert und kann nicht durch tagaktive Bestäuber ausgeglichen werden. 

Vögel werden ähnlich wie Insekten durch Licht angezogen. Daher sind hell erleuchtete Städte gerade auf dem Vogelzug problematisch. Weil sie um beleuchtete Strukturen kreisen, verlieren die Tiere dort bei schlechter Witterung nicht nur wertvolle Energie bis zur totalen Erschöpfung; sie werden auch eher von Beutegreifern gefangen oder kollidieren mit Gebäuden. 

Wie bei anderen Tiergruppen beeinflusst das künstliche Licht zudem den Tag-Nacht-Rhythmus von Vögeln. Eine mitten in der Nacht singende Amsel oder ein Rotkehlchen ist in unseren Städten keine Seltenheit mehr. Früh singende Männchen sind unter normalen Umständen eigentlich Partner, die fitten Nachwuchs versprechen. Durch das Licht wählen die Weibchen aber vielleicht ein qualitativ schlechteres Männchen. Darüber hinaus beeinflusst Licht die Physiologie von Vögeln und kann etwa zu einer früheren Eiablage führen.

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Diese Karte macht die nächtlichen Lichtemissionen in der Schweiz deutlich (Stand 2020). Die Farbskala zeigt die Helligkeit als Vielfaches einer natürlichen Vollmondnacht (hier hellgrün) an. Nur wenige Gegenden der Schweiz sind noch schwarz. © Lukas Schuler, Dark-Sky Switzerland

Neue Erkenntnisse dank Technik

Was im Dunkel der Nacht passiert, war schon immer schwierig zu untersuchen. Dank technischer Fortschritte kamen seit einigen Jahren viele neue Erkenntnisse über das Verhalten der Tiere in der Nacht hinzu. Dabei zeigte sich, dass nicht nur Insekten und Vögel durch Licht negativ beeinflusst werden, sondern zum Beispiel auch Fledermäuse. Von den 30 in der Schweiz vorkommenden Arten ist die Hälfte laut Roter Liste gefährdet und 19 sind national prioritäre Arten. Für deren  Erhaltung trägt die Schweiz auf internationaler Ebene eine besondere Verantwortung. 

Einige wenige Arten wie etwa die Zwergfledermaus kommen zwar mit Licht zurecht, wenn sie zum Beispiel um eine Laterne versammelte Insekten jagen. Allerdings reagieren die meisten Arten selbst auf geringe Lichtintensitäten sehr empfindlich, meiden das Licht und fliegen nur in den dunklen Bereichen. Ähnlich wie Strassen für viele Tiere Hindernisse darstellen, zerschneiden diese Lichtkorridore den Lebensraum der Fledermäuse immer mehr und engen ihn ein. Dabei sind nicht nur Flugkorridore und Jagdgebiete betroffen. Gerade an Schlafplätzen und bei Wochenstuben, wo sie ihre Jungen aufziehen, sind Fledermäuse besonders empfindlich. Im Extremfall kann dies bis zur Aufgabe der ganzen Kolonie führen.

Es gibt verschiedene Lösungsansätze, um das Problem der Lichtverschmutzung in den Griff zu bekommen. Um der Nacht und ihren Bewohnern ausreichend Raum zu lassen, sollte in erster Priorität Licht generell vermieden werden, wo es nicht nötig ist. 

Wo es aus Sicherheitsgründen Licht braucht, etwa entlang von Strassen, in Unterführungen etc., muss nicht nur die Lichtintensität, sondern auch die Lichtlenkung gut geplant werden. Denn der Lichtanteil, der nach oben und horizontal abgestrahlt wird, ist meist zu gross. Durch Gestaltung und Ausrichtung der Lichtquelle lässt sich das Licht gezielt dorthin lenken, wo es gewünscht ist. Reflektoren und Leuchtenabdeckungen, die das Licht zum Boden lenken, helfen. Auch Leuchten, die nicht in grosser Höhe über einem Weg, sondern z. B. in Hüfthöhe angebracht sind, verringern das Streulicht. 

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Für verschiedene Lichtsituationen existieren Lösungen, um die Problematik für empfindliche Tiere zu entschärfen. Links jeweils das Negativ-, rechts das Positivbeispiel. © Archiv Schweizerische Vogelwarte

Lichtintensität anpassen

Darüber hinaus kann generell, punktuell oder auch temporär die Lichtintensität angepasst werden. In Bereichen, die zu später Stunde wenig genutzt werden, soll das Licht zeitweise abgeschaltet oder an Bewegungsmelder gekoppelt werden. Auch sollte man eine Gestaltung mit naturnahen Elementen in die Planung einbeziehen; so kann eine Hecke neben einem beleuchteten Radweg auf der anderen Seite einen Dunkelkorridor schaffen, den Fledermäuse zur Jagd und als Pendelstrecke nutzen.

Daneben spielt das Spektrum des Lichts eine Rolle. Warme Lichtfarben unter 3000 Kelvin gelten als tierfreundlicher als kalte. In sensiblen Bereichen wird der Einsatz von Natrium-Niederdrucklampen empfohlen. Verstärkte Forschung zum Einsatz von LED-Leuchten eröffnet auch hier Möglichkeiten, mit warm-weissen Farbspektren, gezieltem Einsatz und Dimmung eine naturfreundliche Lichtgestaltung zu erreichen. Für Insekten ist besonders darauf zu achten, dass das Leuchtmittel nicht im kurzwelligen und im UV-Bereich strahlt, da dies auf sie besonders anziehend wirkt. 

Dunkle Räume für das Lebensnetz

Nach Daten des Bundesamts für Umwelt (Bafu) hat die durchschnittliche Lichtemission in der Schweiz von 1994 bis 2009 um 75 % zugenommen und ist seither weiter angestiegen. Das Mittelland weist dabei eine mehr als doppelt so hohe Lichtemission auf wie die anderen biogeographischen Regionen der Schweiz. 

Für die Ökologische Infrastruktur ergeben sich klare Handlungsforderungen für die «Dunkle Ebene». Bei der Raumplanung, etwa in Richtplänen, müssen grosse Räume und Korridore ohne Beleuchtung ausgewiesen werden. Hier sind vor allem naturnahe Lebensräume und lineare Strukturen entlang von Gehölzen, Bächen und Flüssen zu berücksichtigen. 

Vielen Menschen ist die Problematik der Lichtverschmutzung noch wenig bewusst. Durch Sensibilisieren der Einwohnerinnen und Einwohner und der Gewerbetreibenden sowie Einfordern von Beleuchtungskonzepten können Gemeinden viel zur Minderung des Problems beitragen. Für eine zielführende Planung wäre es nützlich, die Lichtverschmutzung in den vom Bafu publizierten Karten mit aufzunehmen. 

Ebenso wäre es überlegenswert, dunkle Lebensräume als neue Biotop-inventare nach Artikel 5 oder 18a des Natur- und Heimatschutzgesetzes (NHG) zu schützen. Dadurch wären sie auch im Raumplanungsgesetz (Art. 6 Abs. 4) zu berücksichtigen. Die generelle Leitlinie für die Beleuchtung der Zukunft muss dem Prinzip der Notwendigkeit folgen: So viel wie nötig, so wenig wie möglich.

Positive Beispiele für Fledermäuse finden sich z.B. in Fully VS, wo Dunkelkorridore zwischen Schlafplatz und Jagdgebiet von Grossen und Kleinen Mausohren mit ausgeschalteten Strassenlampen getestet werden. In Fläsch GR wird in einem preisgekrönten Projekt die Beleuchtung zum Schutz der Mausohren und Hufeisennasen durch eine Bedarfssteuerung und Anpassung des Lichtspektrums reduziert und optimiert. 

Solche Projekte lassen hoffen, dass die Nächte und ihre Bewohner die Dunkelheit wieder vermehrt zurückerhalten.

Dr. Stefan Greif ist bei BirdLife Schweiz Projektleiter im Bereich Artenförderung, Dr. Franziska Wloka Projektleiterin Ökologische Infrastruktur.

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